Ein Leben im Einklang mit der Natur ist eine immer wiederkehrende Forderung in der Ökologiebewegung. Dieser Tage hört man sie wieder besonders oft.
Der Klimawandel, die Ressourcenübernutzung und der Verlust von Biodiversität lassen zurecht Zweifel aufkommen am Menschen und seinem Wirken in der Welt. Die Frage, wie eine ökologische Katastrophe abgewendet werden kann, scheint drängender als je zuvor. Der Wunsch nach möglichst einfachen Antworten ist groß. Die Idee, sich Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen, die nicht erst erfunden werden müssen, die unveränderbar sind und die für alle Lebewesen gleichermaßen gelten, scheint verlockend. Hier kommt die Vorstellung von allgemeingültigen Naturgesetzen ins Spiel.
Dieser Vorstellung zu Folge ist der Mensch auch nur ein Tier (unter vielen Tieren) und muss sich deshalb den biologischen und physikalischen Gegebenheiten ebenso unterwerfen wie alle anderen Tiere auch. Unterwirft er sich nicht, droht ihm die Auslöschung.
Beispiele für derartige Gedankenmodelle sind etwa die „Gaia-Hypothese“ von James Lovelock oder das Konzept der „Öko-Apartheid“ von Vandana Shiva. Der Erfolg des Ökothrillers „Der Schwarm“ von Frank Schätzing oder auch das vielfach gelobte Sachbuch „Das letzte Kind im Wald“ von Richard Louv geben zudem einen Hinweis darauf, dass die Forderung nach einem Leben im Einklang mit der Natur längst auch mainstreamfähig ist.
Natur gegen Mensch
„Der Mensch ist Teil der Natur und darf folglich nicht mehr beanspruchen als ihm zusteht. Er ist nicht die Spitze der Schöpfung. Er ist nicht der Gebieter über die Natur und über die göttlichen Möglichkeiten. Der Mensch muss sich einfügen in ein natürliches Geflecht.“ (Philip Stein, Netzwerk „Ein-Prozent“)
Auch unter Rechtsextremen erfreut sich dieses Gedankenmodell großer Beliebtheit.
Warum das so ist, ist leicht nachzuvollziehen: Geht man davon aus, dass es allgemeingültige „Naturgesetze“ gibt, von deren Befolgung nicht nur die eigene Existenz, sondern auch das Fortbestehen der „eigenen Art“ abhängig ist, dann ist es nur logisch, diese Gesetzmäßigkeiten auch auf menschliche Gesellschaften, also auch auf menschliches Sozialverhalten anzuwenden.
Die Übertragung von Gesetzen aus dem Tier- und Pflanzenreich auf den Menschen bezeichnet man als Biologismus.
Der Biologismus wiederum steht im Mittelpunkt aller rechtsextremen Ideologien. Sie gehen davon aus, dass der Mensch ausschließlich über seinen Platz im feststehenden Ökosystem definiert ist. Auch Gesellschaften werden demzufolge als natürlich (im Sinne von biologisch) gewachsen verstanden. Die „(Volks-)Kultur“ wird analog zum Tierreich als „Art“ oder auch als „Rasse“ bezeichnet. Diese gilt es zu erhalten.
Unter Zuhilfenahme von vermeintlich „natürlichen“ Gesetzmäßigkeiten, wie zum Beispiel dem „Kampf ums Dasein“, dem „Überleben des Stärkeren“, aber auch sämtlichen Triebtheorien werden Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt legitimiert.
Denn Hierarchien und Eliten, Ausgebeutete und Unterdrückte sind innerhalb dieser Weltanschauung nur Ausdruck der Natur. Alles gilt schließlich nur dem Erhalt der „eigenen Art“. Sämtliche emanzipatorischen Bewegungen hingegen sind unnatürlich.
Sie gefährden die „eigene Art“. Die Forderungen von Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuellen, Menschen mit Beeinträchtigungen und vielen anderen nach gesellschaftlicher Gleichstellung sind innerhalb dieses Gedankenmodells ein Anzeichen für eine von Degeneration bedrohte Gesellschaft und deshalb abzulehnen.
Im Rahmen dieser menschenverachtenden Weltanschauung ist es dann auch konsequent, gegen „Multi-Kulti“ und die „Homo- Propaganda“ zu demonstrieren (Partei Der III. Weg), Banner mit der Aufschrift „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“ zu hissen (Identitäre Bewegung), sich gegen „Gendermainstreaming“ auszusprechen und zu beklagen, dass „die Geburtenrate unter Migrantinnen deutlich höher liegt als bei deutschstämmigen Frauen“ (AfD) und zu propagieren, dass Förderung und Unterstützung zuallererst den Starken und Gesunden zukommen sollte (NPD).
Naturgesetz und völkische Traditionen
All das ist nicht neu. Die Forderung nach der Rückkehr des Menschen in die „natürliche Ordnung“ und die Verknüpfung dieser Forderung mit völkischen und rassistischen Ideologien finden sich bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert. Damals schrieb etwa der Naturwissenschaftler und Naturphilosoph Ernst Haeckel:
„Und doch ist die Todesstrafe für unverbesserliche Taugenichtse nicht nur gerecht, sondern auch eine Wohltat für den besseren Teil der Menschheit; dieselbe Wohltat, welche für das Gedeihen eines wohl kultivierten Gartens die Ausrottung des wuchernden Unkrautes hat.“
Ernst Haeckel gilt heute nicht nur als Begründer der ökologischen Wissenschaft im deutschsprachigen Raum, sondern auch als Wegbereiter für Rassenhygiene und Eugenik im „Dritten Reich“.
Und auch der Gründer der ersten Naturschutzbewegung Ernst Rudorff glaubte an eine verlorengegangene organische Verbundenheit von Mensch und Natur. Die Rückführung des Individuums zur Natur war das erklärte Ziel seines Engagements. Er warnte vor den zersetzenden Kräften der Großstadt, der Zerstörung der Landschaft, der Entwurzelung des Menschen und vor dem „jüdischen Geist“. Hinter all dem stand der Glaube an ein organisch gewachsenes „Volk“.
Vom Naturgesetz zur Naturverbundenheit
Was bedeutet das nun für Natur- und Umweltschützer*innen? Ist das Leben im Einklang mit der Natur etwa kein erstrebenswertes Ziel?
Richtig ist mit Sicherheit, dass angesichts der wahrhaft großen ökologischen Krisen ein Umdenken notwendig ist. Ein „weiter wie bisher“ ist nicht denkbar. Jedenfalls dann nicht, wenn man ein gutes Leben für alle möchte und auch den nachfolgenden Generationen einen Planeten hinterlassen will, der es ihnen ermöglicht, in Frieden und Freiheit zu leben.
Die Lösung kann genau deshalb auch unmöglich ein menschenverachtendes „back to nature“ sein. Diese Strategie schafft nur eine gefährliche Nähe zu extrem rechten Positionen und Ideologien.
Was also dann? Ein guter Anfang könnte ein Wechsel der Perspektive sein.
Nimmt man die Frage nach dem Leben im Einklang mit der Natur ernst, müsste man sich zunächst mit dem Naturbegriff auseinandersetzen. Man müsste die Einsicht zulassen, dass es keine rein objektive Betrachtung der gesamten Natur oder auch nur von einzelnen Vorgängen in der Natur geben kann. Jede Beobachtung ist immer auch ein Akt der Interpretation vor dem Hintergrund der Sozialisation, der gerade vorherrschenden Weltanschauung und der gesellschaftspolitischen Entwicklungen.
Außerdem: Ja, der Mensch ist auch ein biologisches Wesen. Er hat Hunger und Durst, er friert und muss schlafen, er ist aus der Evolution hervorgegangen, aber er ist auch ein soziales, ein kulturelles Wesen. Er ist in der Lage, sich selbst und sein Handeln zu reflektieren. Er kann Nahrung herstellen, Krankheiten heilen, technische Geräte entwickeln und Energie produzieren. Der Mensch hat neben der biologischen auch eine kulturelle Evolution durchlaufen. Die Reduktion des Menschen auf seine biologischen Anteile kommt deshalb auch einer Leugnung der menschlichen Existenz gleich.
Dieser Perspektivwechsel könnte zu der Erkenntnis führen, dass es keine Verschmelzung des Menschen mit der Natur geben kann (vielleicht auch nie gab), wohl aber eine Beziehung und ein Gefühl der Verbundenheit. Die Umweltethikerin Uta Eser schreibt hierzu:
„Naturverbundenheit ist eine Option, die man wählen kann, aber nicht muss. Wenn man sie wählt, ist dies ein Akt der Humanität, nicht eine Unterwerfung unter vermeintliche Gesetze der Natur.“ (Uta Eser, 2016)
Auch das Naturverständnis der NaturFreunde Deutschlands kann weiterhelfen. So heißt es in der Resolution „Schutz der natürlichen und sozialen Mitwelt“ von 2017:
„Die NaturFreunde Deutschlands wollen die soziale und die natürliche Mitwelt schützen. Wir wollen die Ausbeutung des Menschen ebenso überwinden wie die Ausbeutung der Natur. Beides sehen wir in einem engen Zusammenhang. (…) Von daher ist der Schutz der Natur eine Frage menschlicher Verantwortung und Solidarität. Natürlich geht es auch darum, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen, um die natürlichen Kreisläufe zu sichern und ihre Schönheit und Vielfalt zu bewahren. Aber das ist für uns immer auch eine soziale Verantwortung. In diesem Sinne sehen wir Naturschutz auch in einem Zusammenhang mit der Zivilisationsentwicklung.“
Um die Probleme unserer Zeit zu lösen, braucht es, folgt man diesen Überlegungen, also nicht weniger, sondern mehr Freiheit und Humanität. Wir müssen es nur wagen.
Lukas Nicolaisen
Der Artikel ist Teil der Handreichung "Rechtsextreme Ideologien im Natur- und Umweltschutz"