![](https://www.nf-farn.de/system/files/styles/desktop_nfd_3x_content_half_50/private/images/ws-mythos-wald.png?itok=cWZ04PQV×tamp=1611651041)
Im Jahr 9 nach Christus versammelten sich verschiedene Stämme unter der Führung des Arminius und schlugen drei römische Legionen vernichtend. Damit waren die Ziele des Römischen Imperiums auch in die rechtsrheinischen Gebiete vorzudringen erst einmal gescheitert und wurden weitgehend aufgegeben. Fast einhundert Jahre später schreibt der römische Schriftsteller Tacitus über die Kämpfe und berichtet von den Völkern der Germanen. Doch erst sehr viel später entfaltet sein Werk große Wirkung: Nämlich als Gelehrte versuchen, ein Fundament für eine gemeinsame deutsche Geschichte und Kultur zu finden. Ein deutsches Nationalbewusstsein soll entstehen.
Nach Tacitus ist das germanische Land „in der Gesamtheit [...] durch seine Wälder unheimlich, durch die Sümpfe abstoßend“, dazu komme das „raue Klima und die Kärglichkeit des Bodens“. Doch was er nicht ahnen konnte: Seine Schilderungen einer abschreckenden Region werden ungefähr 1.500 Jahre später begeistert aufgenommen. Sie dienten als Grundlage für die Beschreibung charakteristischer Eigenschaften der Germanen, die aus dem Leben in den Wäldern ihre körperliche Stärke und Widerstandsfähigkeit gezogen hätten.
„Vaterland grüner Eichen“
In der Romantik dient der „Deutsche Wald“ dann als gemeinschaftsstiftendes Element zur Abgrenzung gegenüber anderen Nationen. Der Dichter Joseph von Eichendorff schreibt: „Gleichwie die Stämme in dem Wald/ Woll’n wir zusammenhalten.“ Der Historiker Ernst Moritz Arndt spricht von Italien als dem Land der „Land der Citronen und der Banditen“, während Deutschland das „Vaterland grüner Eichen“ sei. Und der Schriftsteller Ludwig Tieck zeigt sich nach dem Sieg über Napoleon berauscht: „Freiheit! Braust der Eichenwald.“ Auch die Brüder Grimm machen den unheimlichen, dunklen und bedrohlichen Wald zu einem zentralen Bestandteil ihrer Märchen. Damit wurde der Wald als nationales Symbol stilisiert.
So griffen die Romantiker in der Zeit des aufgehenden Nationalstolzes das Bild einer zweitausendjährigen germanischen Tradition wieder auf, die mit der kargen Landschaft und den tiefen Wäldern verknüpft sei. Dies sollte das Überlegenheitsgefühl der Deutschen gegenüber anderen Völkern bestärken. Diese nationalistischen Ideologien waren eine praktische Grundlage für die menschenverachtende Idee des Nationalsozialismus. Die Nazis erklärten die Deutschen zum „Waldvolk“, welches sich gegen die „jüdischen Wüstenvölker“ wehren müsse. Walter Schoenichen, der Leiter der Reichsstelle für Naturschutz in der NS-Zeit, schrieb: „In der Wildnis reckenhafter Baumgestalten hat sich der heldische Geist germanischer Krieger immer aufs neue gestählt und gefestigt. Eine gehärtete Rasse wuchs hier heran – [...] bestimmt und befähigt, die Geschicke der Welt zu leiten.“
Die im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebiete sollten der „deutschen Landeskultur“ angepasst werden. Landschaftsgestaltung, Aufforstung und „Eindeutschung“ der Natur gingen Hand in Hand mit der Vernichtung, Deportierung und Zwangsarbeiterschaft der slawischen Bevölkerung. Im Generalplan Ost hieß es: „Die Räume müssen vielmehr ein unserer Wesensart entsprechendes Gepräge erhalten, damit der germanisch-deutsche Mensch sich heimisch fühlt.“ Nur der stückweise Rückzug der Wehrmacht und die schlussendliche Niederlage des Nationalsozialismus stoppten die konkrete Umsetzung dieser menschenverachtenden Ideologie.
Aktuelle Entwicklungen
Neonazistische Parteien wie die NPD oder „Der III. Weg“ propagieren noch heute Sprüche wie „Umweltschutz ist Heimatschutz“. Auch die „Identitäre Bewegung“ nutzt den scheinbar unschuldigen Slogan: „Bäume haben Wurzeln, Menschen auch.“ Traditionelle Waldmetaphern finden sich im gesamten politischen Spektrum. Tilman Kuban, der Vorsitzende der Jungen Union, wirbt für sich in seinem Twitter-Profil mit „Erdverwachsen. Sturmfest“.
Und so lebt der gefährliche Mythos „Deutscher Wald“ in manchen gesellschaftlichen Strömungen weiter. Über seine extrem rechten Hintergründe aufzuklären, bleibt eine wichtige Aufgabe. Es darf jedoch niemanden davon abhalten, sich für Biodiversität und Naturnähe im Wald einzusetzen. Die vielfältige Flora und Fauna naturnaher Wälder trägt schließlich keine Schuld an diesen rechten Erzählungen.
Theresa und Jannis
Die Autor*innen bieten zu diesem Thema Vorträge oder Workshops – diese dann in Form eines Waldspaziergangs – an: www.nf-farn.de/workshops-vortraege#WSWald