08.02.2024
Umweltbildung ist ein Feld ökologischer Pädagogik, deren Ziel es ist, unsere Umgebung und Natur in ihrer unmittelbaren und politischen Dimension begreifbar zu machen. Dabei bedient sie sich oft der Erfahrungen mit der Natur und dem eigenen Körper. Zumeist wird eine Entfremdung des Menschen von der Natur beklagt, und nur eine emotionale Bindung an sie soll dazu führen, dass das Individuum seine Verantwortung zu ihrem Erhalt wahrnimmt (Heger 1989). Umsetzungsmöglichkeiten gibt es sowohl auf individueller als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Im individuellen Bereich soll der ökologisch gebildete Mensch seine Lebensführung so gestalten, dass er verantwortungsvoll mit der ihm verbundenen Natur umgeht (Jegensdorf 1989). Auf der politischen Ebene sollen das eigene Einflussfeld und die Gesellschaft beeinflusst werden, ein gemeinsames ökologisches Handeln einzuleiten (Heger 1989).
In der emotionalen Beziehung, die in der Umweltbildung zwischen Mensch, Umwelt und Natur gefördert werden soll, werden die Begriffe Umwelt und Natur oft synonym verwendet. Was uns umgibt und grün ist, wird in der Vereinfachung Umwelt und Natur zugleich. Eine Ausgestaltung des Naturbegriffs wird häufig nicht erbracht und ist deshalb offen für eine persönliche Interpretation. Straßenbegleitgrün wird künstlich gelesen, während der handgepflanzte Tiny-Forrest Natur repräsentiert. Es wird vereinfacht zwischen dem Bild der ursprünglichen Natur und der künstlichen Kulturlandschaft unterschieden. Die zeitlichen und kulturellen Grenzen, wann etwas als künstlich gilt und wann nicht, können nicht trennscharf formuliert werden.
Leben im Einklang mit der Natur?
Der Mensch befindet sich seit jeher in einem Spannungsfeld. Er ist auf die funktionierenden Ökosysteme seiner Umwelt angewiesen und deren Bearbeitung ist Bestandteil seiner Lebensweise. Eine Trennung zwischen natürlichen und künstlich angelegten Räumen ist also eine Einteilung, die Reflexion und besonderer Sensibilität in der Vermittlung bedarf (Bölts 2014). Eine unreflektierte und offene Verbreitung dieser Vorstellung schafft besonders leicht Anschlussmöglichkeiten für romantisierende Naturvorstellungen. Diese sagen dem Menschen wie der Natur eine ursprünglichere Vergangenheit zu, in welcher die Beeinflussung der Natur als Gegensatz zu einem Leben in Einklang mit ihr steht. Hier bieten sich für rechte Akteur*innen Möglichkeiten, umweltbildnerische Anstrengungen für ihre Zwecke zu nutzen.
Eine gemeinsame „ursprüngliche“ und „natürliche“ Vergangenheit von Mensch und Natur bietet primär Nährboden für völkische Ansichten, in denen das Individuum genetisch und kulturell an seine umgebende Natur gebunden ist. In der „Blut-und-Boden-Ideologie“ ist ein Volk genetisch an seinen Lebensraum gebunden und kann nur in ihm wirklich gedeihen. In diesem Kontext wird auch der Begriff Heimat völkisch besetzt.
An den Anspruch, lokales Handeln anzuregen, können nahtlos rechte Heimatschutznarrative anschließen. Zu sehen ist dies in völkischen Siedlungsprojekten nach Vorbild der Anastasia-Bewegung oder anderen Familienhöfen. Hier werden rechte Landnahme und Absonderung der restlichen Gesellschaft vom eigenen Familienhof mit spirituell-esoterischen Ansichten kombiniert. Der hier verwendete Heimatbegriff weist Menschen spirituelle und körperlich-genetische Wurzeln zu, die sie mit ihrem Land verbinden. Diese entstammen dem Gedankengut der Rassenlehre, nach der bestimmte Gruppen von Menschen bestimmten Landstrichen entstammen und an diese unausweichlich, in körperlich-genetischer und spiritueller Weise gebunden sind. Dabei wird ein starker Gegensatz zwischen der Heimat, die mit dem Begriff der Natur belegt wird, und der künstlichen Stadt errichtet.
Diesen formulierten Gegensatz finden wir ebenfalls in der Umweltbildung und der Umweltbewegung in Städten. Sowohl durch eine unreflektierte Verwendung des Naturbegriffs im Kern ihrer Arbeit als auch durch das Aufgreifen aktueller gesellschaftlicher Themen wird der Gegensatz häufig reproduziert. Im Zuge der Forderung nach stärkerer Begrünung und mehr Natur in der Stadt findet auch die Umweltbildung Narrative, die für rechte Gedanken anschlussfähig sind. Dabei steht die Entfremdung der Stadtbevölkerung von einer ursprünglichen Natur im Vordergrund. Die Umweltbildung hat zum Ziel, diese Entfremdung aufzulösen und so einen respektvollen Umgang mit verfügbaren Ressourcen und Lebewesen in unserer Umwelt zu sichern. Wenn diese Begründung jedoch in verkürzter Kommunikation auf einen emotionalen Appell reduziert wird, bieten sich hier problematische Verknüpfungen mit altbekannten Narrativen rechter Bewegungen.
Antisemitische Narrative als Einfallstor
Dieser Gegensatz ist zentraler Bestandteil antisemitischen Verschwörungsglaubens, ebenfalls auf die „Blut- und Boden-Ideologie“ zurückgreifend. Hier werden Jüd*innen als eine genetische Einheit definiert, die im Gegensatz zu anderen sogenannten Rassen kein mit ihr verbundenes Land haben. Stattdessen wird ihnen angedichtet, in den Städten anderer zu leben und dort das „angestammte Volk“ zu verderben. So werden die Städte als verdorben und unnatürlich angesehen, das Land mit seiner fiktiven, ursprünglichen Natur hingegen als heilender Ort.
Dieses Narrativ wird in vielen Fällen heutzutage modernisiert aufgespielt. Jüd*innen werden besonders in neurechten Kreisen nicht mehr direkt verantwortlich gemacht. Stattdessen werden hier Ersatzbezeichnungen genutzt, wie der Verweis auf korrupte Eliten, die aus dem Schatten heraus agieren. Die Zentralisierung politischer Macht in Städten wird häufig als Platzhalter für antisemitische Narrative genutzt. Besonders in rechter Agitation auf dem Land kann der soziale Konflikt zwischen Stadt und Land antisemitisch konnotiert sein.
Kritische Körperlichkeit und reflektierte Naturerfahrungen
Die Verbundenheit eines Körpers mit der Umwelt und der ihn umgebenden Natur ist Kern der Naturerfahrung, die in der klassischen Umweltbildung im Zentrum steht. Dabei geht es um höchst individuelle Erfahrungen, die das Selbstverständnis nachhaltig prägen. Die Natur ist aber nicht alleiniger Einflussfaktor auf den Körper und Verstand von Menschen. Kulturelle und gesellschaftliche Anforderungen spielen unabhängig davon eine prägende Rolle. Hierbei ist es jedoch wichtig, um nicht offen für menschenfeindliche Ansichten zu werden, dass diese Individualität nicht auf biologische, materielle Einflussfaktoren reduziert wird. Hier würde man von einer bioessentialistischen Sicht sprechen, in der die Persönlichkeit nahezu allein durch genetische Faktoren bestimmt wird. Die Vielzahl der Einflüsse, die auf eine Persönlichkeit wirkt, wird häufig für eine intensivere Naturerfahrung ausgeklammert. Es besteht dabei zusätzlich die Gefahr, dass neben der oben beschriebenen ideologisch herbeierzählten Verbindung zwischen Genetik und Land besonders konservative Geschlechterbilder gestärkt werden können. Wenn ein Mensch seinen Körper als Teil einer vorherbestimmten, ursprünglichen Natur wahrnimmt, wird die Art, wie der Körper sich durch diese Natur bewegt, ebenfalls als natürlich und unumstößlich wahrgenommen. Rechte Ideologie ist streng hierarchisch organisiert. Manche Bevölkerungsgruppen stehen über anderen, Männer über Frauen und alle sind an für sie vorgesehene Rollen gebunden. Die Begründung dafür ist teils göttlicher Wille oder eine esoterisch gefärbte Biologie, in der die Natur den göttlichen Willen ersetzt (vgl. Bell 2019)
Wenn Umweltbildung nicht sensibel für alle Geschlechter und Geschlechterrollen gestaltet ist, werden so Unterdrückungserfahrungen für marginalisierte Geschlechtsidentitäten als naturrechtlich bestätigt erfahren. Hier schließen rechte Gruppierungen an, indem sie Geschlechter außerhalb des binären Raums und Geschlechtsausdrücke außerhalb eines klar konservativen oder völkischen Rollenbildes als unnatürlich und verderbend propagieren. In einer völkischen Umweltbildung üben sich Männer beispielsweise durch körperlichen Wettstreit, während Frauen heilende Kräuter und Nahrung sammeln, mit denen sie die Familie versorgen können. All diese Punkte machen Umweltbildung nicht zu einem rechten Projekt. In ihrer Grundausrichtung ist die Umweltbildung pluralistisch, demokratisch und mit einem positiven und inklusiven Menschenbild auf wissenschaftlicher Grundlage ausgestattet. Gerade deshalb sollten Pädagog*innen immer wachsam sein und ihre eigenen Konzepte kritisch hinterfragen. Umweltbildung erlebt im Zeichen des Klimawandels und einer globalen Gesellschaft einen enormen Zuwachs an Bedeutung. Es ist an allen Menschen, dafür zu sorgen, dass Natur- und Umweltthemen nicht von rechtsextremen Kräften vereinnahmt werden. Ähnlich wie der Mensch mit wachsendem Einfluss auf seine Umwelt auch stärker an seine Verantwortung gebunden werden muss, müssen Umweltbildner*innen sich ihrer wachsenden Bedeutung und der damit einhergehenden Verantwortung bewusst sein.
Literatur und Quellen
Bell, R. (2019): Abenteuer- & Erlebnispädagogik und geschlechterreflektierte Neonazismusprävention. n. v.
Bölts, H. (2014): Umweltbildung: eine kritische Bilanz. WBG.
Heger, R.-J. (1989): Wiedergewinnung von Wirklichkeit. Freiburg: Dreisam-Verlag.
Jegensdorf, L. (1989): Einführung, in: Gallenstein, u. a.: Lokale Umwelterziehung – Beispiel Osnabrück. Osnabrück Nli.
Tom Hennig
Tom Hennig hat Biologie an der Friedrich-Schiller-Universität
Jena studiert und ist als einer der Koordinator*innen für Natur-,
Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsbildung in Berlin tätig. Er
ist seit 2022 FARN-Multiplikator und sensibilisiert Umweltbild-
ner*innen und Bürger*innen für anschlussfähige rechte Ansichten
im Natur- und Umweltschutz.
Dieser Artikel ist Teil unserer Handreichung Die extreme Rechte und Menschenfeindlichkeit in der Umweltbildung.