Wer die Begriffe „demokratisch“ und „Naturschutz“ googelt, wird nicht viele Treffer erhalten. Die Hälfte der Treffer handelt zudem von nichtdemokratischem Naturschutz beziehungsweise der Vereinnahmung des Naturschutzes für völkische oder rassistische Ideologien. Das kommt nicht von ungefähr. Denn die demokratischen Traditionen des Naturschutzes wirken wie Tropfen in einem Meer von konservativen, antidemokratischen, völkischen bis offen rassistischen Strömungen.
Anfang 2019 jedoch ein ganz anderes Bild: Bürger*inneninitiativen, Umweltverbände, oppositionelle Parteien, Biobäuer*innen und Imker*innen haben sich auf den Weg gemacht, die mächtige Staatspartei in Bayern das Fürchten zu lehren. Als ausgezählt wird, haben mehr als 1,75 Millionen Menschen das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern unterstützt. Die Bürger*innen haben das Heft des Handelns im Natur- und Umweltschutz selbst in die Hand genommen und ein Referendum zum Schutz von Insekten und ihrer Habitate zum Erfolg geführt. Die CSU, die kurz zuvor ihre absolute Mehrheit im Landtag eingebüßt hatte, zeigte Demut. Der Referendumstext wurde ohne Änderungen Gesetz. Was für ein Erfolg für die direkte Demokratie und den Naturschutz!
Seitdem ergrünt der konservative Ministerpräsident Söder und versteigt sich zu dem Satz: „Wir haben den Umweltschutz erfunden.“ Denn es sei das Urmotiv der CSU, die Schöpfung zu bewahren (Bild am Sonntag, 15.9.2019).
Die Anfänge des Naturschutzes
Die ersten Naturschützer*innen finden sich in Deutschland in konservativen bis reaktionären Kreisen. Sie wollen im Zuge der beginnenden Industrialisierung Teile der Natur aus der rücksichtslosen Verwertung im Kapitalismus herauslösen und exemplarisch unter Schutz stellen. Das beginnt 1836 mit dem Kauf des Drachenfels am Mittelrhein, der als Steinbruch genutzt wurde und zu verschwinden drohte. Romantische bis völkische Vorstellungen prägen einen Natur- und Heimatschutz, in dem vermeintlich „deutsche“ Landschaften oder der „deutsche“ Wald erhalten werden sollen.
Auf Antrag von Linksliberalen diskutiert der preußische Landtag 1912 erstmals den Entwurf eines Naturschutzgesetzes. Eine Mehrheit findet er in dem nach dem undemokratischen Dreiklassenwahlrecht zusammengesetzten Parlament nicht. Für die wenigen sozialdemokratischen Abgeordneten ergreift Karl Liebknecht das Wort. Er greift den bürgerlichen Naturschutz an, denn die Natur dürfe nicht vor den Menschen geschützt werden. Er bezeichnet den Schutz der Natur als „ein ungemein wichtiges Stück der sozialen Fürsorge; das geht an die Wurzeln der menschlichen Bedürfnisse heran […] soll das Menschengeschlecht besonders in den großen Städten nicht weiter verkrüppeln, geistig, moralisch, körperlich“ müsse „die Trennung zwischen Natur und Menschen aufgehoben werden. Die Natur dem Volke nahegebracht werden“ (zitiert nach Friedemann Schmoll in Frohn/Rosebrock 2017: S. 30). Damit vertrat Liebknecht die gleichen Positionen wie der 1895 in Wien als internationaler Verband gegründete „Touristenverein Die Naturfreunde“ (im Folgenden: Naturfreunde).
Die Naturfreunde traten für eine Demokratisierung des Naturgenusses ein und forderten für die Arbeiter*innen den freien Zugang zur Natur. Zugleich verankerten sie den Naturschutz als Ziel in ihrer Satzung. Aus dem Elend der Fabriken und der beengten Mietskasernen in den Stadteilen mit der höchsten Umweltbelastung sollten Arbeiter*innen Zugang zur freien Natur haben, um vom „Arbeitstier wieder zum Mensch zu werden“ und, aus dem Kraftquell der Natur gestärkt, für ihre demokratischen und sozialen Rechte und für eine sozialistische Demokratie zu kämpfen. Mit einer breiten Palette von demokratischen Aktionen wie Versammlungen, Kundgebungen, Ausstellungen, Massenwanderungen und zivilem Ungehorsam stritten sie unter dem Slogan „Berg frei!“ für das freie Wegerecht, das von Adel und Bürgertum verwehrt wurde. Als Selbsthilfeorganisation errichteten sie in Eigenleistung eigene Hütten, oft an Stellen besonderer Naturschönheit. Zur Zusammenarbeit mit bürgerlichen Naturschützer*innen kam es nur selten.
Von Linksliberalen ausgehend wurden 1908 und 1909 die Berliner Waldschutztage durchgeführt, die sich gegen die geplante Privatisierung des Waldgürtels rund um die Großstadt wandten. Es gelang 1912 einen Zweckverband zu gründen, der dem preußischen Staat 10.000 Hektar Wald abkaufte und so das Erholungsgebiet sicherte.
Naturschutz in der Weimarer Republik
Nach der Revolution von 1918 wurde in der Weimarer Verfassung in Artikel 150 der Naturschutz erstmals verankert: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“
Die Naturfreunde gehörten zu den wenigen Naturschutzgruppen, die sich mehrheitlich positiv auf die Weimarer Republik bezogen und die Demokratie stützten. Sie gerieten damit in Gegensatz zum bürgerlichen Naturschutz, der sich abwartend, ablehnend oder offen völkisch und reaktionär positionierte. Besondere Gegnerschaft bestand zum Alpenverein. Schon 1921 hatte ein Drittel der Alpenvereinssektionen einen Arierparagraphen in die Satzung aufgenommen. Ab 1923 (Hitlerputsch) wurde auf Alpenvereinshütten die Hakenkreuzfahne gehisst.
Die Bedeutung der Naturfreunde für den Naturschutz wird in der bisherigen Naturschutzgeschichtsschreibung meist verkannt oder heruntergespielt. In der Hausgeschichtsschreibung der amtlichen Naturschützer*innen, die sich wie Walther Schoenichen und Hans Klose dem NS-Regime andienten, finden sie keine Erwähnung. Dabei handelte es sich bei den Naturfreunden in den 20er Jahren um eine Massenbewegung mit mehr als 230 Naturfreundehäusern allein in Deutschland, die vor allem auch kommunal Einfluss auf den Naturschutz nahm. Während es die Zeitschrift „Naturschutz“, das wichtigste Organ des bürgerlichen Naturschutzes, auf 5.000 verteilte Exemplare brachte, erschien der „Naturfreund“ als Organ der Naturschutzorganisation der Arbeiterbewegung in einer Auflage von 150.000 Exemplaren (Ute Hasenöhr in Frohn/Rosebrock 2017: S. 148ff.).
Der staatliche Naturschutz in der Weimarer Republik sah sich eher als neutrale Instanz. Es gab nur zaghafte Versuche wie die Gründung eines Berlin-Brandenburgischen Naturschutzringes, der verschiedene Akteur*innen zusammenbrachte. Dennoch wurden wichtige Vorarbeiten für ein Reichsnaturschutzgesetz geleistet.
Naturschutz und NS-Regime
Mit der Machtübertragung an Hitler wurden die Naturfreunde im März 1933 verboten, während andere Naturschutzverbände wie der Deutsche Bund für Vogelschutz (heute NABU – Naturschutzbund Deutschland) mit staatlichem Segen eine Reihe weiterer Naturschutzorganisationen gleichschalten durften. Die Gründerin Lisa Hähnle wurde zur „Reichsvogelmutter“ verklärt und trug neben dem Mutterkreuz mit Hakenkreuz auch die Adolf-Hitler-Medaille, die sie für ihre mit Hitler geteilte Tierliebe erhielt. Auf Hitlers Obersalzberg wurde ein Vogelwart angestellt, der die Nistkästen der Vogelschützer* innen verwaltete. Das steigerte die Bekanntheit und das Spendenaufkommen des Vereins.
Insbesondere die völkisch geprägten Naturschützer*innen sahen nun ihre hohe Zeit kommen und waren für die Nazis anschlussfähig. Reichsbauernführer Walther Darré hatte mit seiner „Blut und Boden“-Ideologie, die er bei den Artamanen geklaut hatte, auf dem Land Hitler Zulauf und Wählerstimmen organisiert. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, gehörte dem völkischen Bund Artam an und schwärmte für biologisch-dynamische Landwirtschaft à la Demeter. Im Konzentrationslager Dachau ließ er sich von Häftlingen einen entsprechenden Kräutergarten anlegen.
Radikalisiert wurden die völkischen Ansätze von Hitlers imperialistischer Lebensraumkonzeption, die er in seinem Buch „Mein Kampf“ beschrieben hatte und die darauf abzielte, andere Völker zu unterwerfen. Dabei reklamierte er für die Deutschen „Herrenmenschen“ zu sein, die von der Natur dazu auserwählt seien, sich Lebensraum im Osten zu erobern und die dort ansässige Bevölkerung zu vernichten oder zu versklaven. Unter Naturschützer*innen fand er dabei willige Helfer*innen. So konzipierte Alwin Seifert, später in der Bundesrepublik langjähriger Vorsitzender des Bund Naturschutz (heute Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – BUND e. V.), als Reichslandschaftsanwalt die „Aufnordung“ der Landschaft in Polen und der Sowjetunion. Dazu musste das Gebiet zunächst, in der Regel durch Massenerschießungen, „judenfrei“ gemacht werden, um dann „deutsche“ Hecken von Zwangsarbeiter*innen („Vernichtung durch Arbeit“) der Organisation Todt anpflanzen zu lassen.
Der Vegetationskundler Reinhold Tüxen erfasste pflanzensoziologische Literatur der eroberten Gebiete im Osten in seinem Werk mit dem bezeichnenden Titel „Germania II“. Im Auftrag der SS kartierte er in Auschwitz, um die geplante SS-Musterstadt mit „deutschen“ Pflanzen zu versehen und arbeitete an der Begrünung der Krematorien des Vernichtungslagers. Bis heute wird in Rinteln ein Naturschutz-Preis in seinem Namen verliehen. Zahlreiche Landschaftsanwälte gestalteten für das NS-Regime eine sogenannte Wehrlandschaft, wie zum Beispiel den „Westwall“. Der Leiter des SS-Rasse-und-Siedlungshauptamtes, Günther Pancke, hielt den biologisch-dynamischen Landbau für ideal „für die zukünftigen Wehrbauern und Bauern im Osten“.
Zwar wurden Teile des noch in der Weimarer Republik entworfenen Reichsnaturschutzgesetzes übernommen und 1935 in Kraft gesetzt, aber mit der „Blut und Boden“-Ideologie versehen und Naturschutzbelange der wirtschaftlichen Entwicklung und den Aufrüstungsmaßnahmen jeweils untergeordnet.
Im Ergebnis waren mit dem Zweiten Weltkrieg millionenfaches Leid, die Ermordung eines Großteils der europäischen Juden und eine beispiellose Zerstörung von Naturräumen verbunden.
Naturschutz in der BRD und der DDR
Als erster Naturschutzverband in der amerikanischen Besatzungszone wurden die Naturfreunde aufgrund ihrer demokratischen Tradition bereits 1945 wieder zugelassen, mussten sich aber aufgrund alliierter Auflagen unpolitisch geben. Bis Mitte der 50er Jahre blieb der Verband von einer weitgehend unpolitischen Führung in Bayern beherrscht und knüpfte erst ab 1955 wieder an Traditionen aus der Weimarer Zeit an. Insbesondere die Naturfreundejugend spielte eine Rolle in der Ostermarschbewegung unter dem Slogan „Kampf dem Atomtod!“.
In der Bundesrepublik machten eine ganze Reihe von Schreibtischtätern der Nazis Karrieren an Lehrstühlen des Naturschutzes und der Landschaftsplanung, wie Reinhold Tüxen, Konrad Meyer (Reichskommissariat zur Festigung deutschen Volkstums) oder Heinrich Wiepking-Jürgensmann (leitender Mitarbeiter „Generalplan Ost“). Ein Netzwerk ehemaliger Nazis durchzog die Naturschutzbehörden und den Deutschen Naturschutzring bis in die siebziger Jahre. Der SS-Mann Gerhard Olschowy war von 1964 bis 1978 Direktor der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie, dem späteren Bundesamt für Naturschutz. Und noch heute finden sich beamtete Naturschützer, die behaupten, dass in der NS-Zeit die „Verwissenschaftlichung des Naturschutzes“ stattgefunden habe (zuletzt in der amtlichen Zeitschrift des Naturschutzes „Natur und Landschaft“ 2016).
In einigen Bundesländern werden weitgehende Naturschutzregeln gefasst. Vor allem in Bayern erhalten der Naturschutz und das Betretungsrecht der Natur durch den ersten Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD, Naturfreunde) Verfassungsrang. Auch die starke Stellung der Volksbegehren in der bayerischen Verfassung geht auf ihn zurück.
Erst mit Bundeskanzler Willy Brandts „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ und der aufkommenden Bewegung gegen Atomkraftwerke und Wiederaufarbeitungsanlagen entstehen demokratische Bürgerinitiativen im Natur- und Umweltschutz. Ihre Mobilisierungserfolge (zum Beispiel die Verhinderung des Atomkraftwerks Wyhl 1973 bis 1977) tragen auch zum Wandel von Naturschutzverbänden bei. Sie professionalisieren sich in den 80er Jahren und versuchen durch modernes Marketing und Kampagnen mehr Mitglieder zu gewinnen, Spenden für ihre Arbeit zu generieren und über gezielte Lobbyarbeit Einfluss auf die Politik zu gewinnen. Es gelingt ihnen, durch das Verbandsklagerecht eine frühzeitige Beteiligung bei Planungen für Eingriffe in die Natur zu erstreiten. Insbesondere BUND undNABU gelingt es, jeweils mehrere hunderttausend Unterstützer* innen und Spender*innen an sich zu binden. Nach Mitgliederzahl größter staatlich anerkannter Naturschutzverband ist heute der Alpenverein mit mehr als einer Million Mitglieder.
Nach der Novellierung des in Teilen noch gültigen Reichsnaturschutzgesetzes zu einem Bundesgesetz 1976 und 2009, erhält der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (1994) und der Tiere (2002) in Artikel 20a Grundgesetz „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ Verfassungsrang.
Auch in der DDR wurde das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 zunächst übernommen, aber 1954 durch ein eigenes Naturschutzgesetz abgelöst. Von staatlichen Massenorganisationen wie dem Kulturbund unabhängige Naturschutzverbände wurden nicht zugelassen. Erst nach dem Mauerfall gelang prominenten Naturschützer*innen in der Übergangsregierung vor dem Beitritt noch ein Coup. Auf der letzten Sitzung der DDR-Regierung am 12. September 1990 wurde ein Nationalparkprogramm beschlossen, das bedeutende Flächen unter Naturschutz stellte und im Einigungsvertrag berücksichtigt wurde. An der Vorbereitung wirkte unter anderen Klaus Schlüter (Minister ohne Geschäftsbereich) mit, der die „Grüne Liga“ mitbegründete und nach 1990 dem Bundesvorstand der Naturfreunde angehörte.
Heute stehen Naturschutzverbände in einem Spagat zwischen demokratisch-politischem Engagement, Lobbyarbeit und Vereinnahmung durch Umwelt- und Naturschutzverwaltung. Ihre Jahrzehnte währenden Bemühungen zu deutlich mehr Engagement für die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels dringen erst jetzt stärker in der Öffentlichkeit durch und das dank einer Basisbewegung von Schüler*innen, die mit Fridays for Future eine lebenswerte Zukunft für ihre Generation einfordern.
Literatur
Franke, Nils M./Pfenning, Uwe (Hrsg.). (2014): Kontinuitäten im Naturschutz, Baden-Baden: Nomos.
Frohn, Hans-Werner/Rosebrock, Jürgen (Hrsg.). (2018): Herausforderungen für die Umweltkommunikation. Der Deutsche Naturschutzring, die Naturschutzverwaltungen und der Wandel der Protestkultur. München: oekom.
Frohn, Hans-Werner/Rosebrock, Jürgen (Hrsg.). (2017): Spurensuche. Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes. Essen: Klartext.
Marian, Hans-Gerd/Müller, Michael (2020): Der Kampf um Lebensraum. Braune Ideologen im Umwelt- und Naturschutz. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2020 (https://www.blaetter.de/ausgabe/2020/februar/der-kampf-um-lebensraum).
Hans-Gerd Marian
Der Autor ist Diplom-Fundraiser, Pädagoge, Historiker und Mitglied des Fachbeirats der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN).
Der Artikel ist Teil der Broschüre Prima Klima? Natur- und Umweltschutz in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung