Was haben Baumbesetzer*innen im Hambacher Forst, Stromrebell*innen, Besetzer*innen von Feldern, auf denen gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen, Aktivist*innen gegen Ressourcenextraktivismus, Klima- und Lebensmittelretter*innen gemeinsam? Sie alle setzen sich für eine Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse von unten ein.
Ihr Engagement hat verschiedene Facetten. So üben sie Kritik an den herrschenden krisenhaften sozial-ökologischen Verhältnissen und an der gewählten politischen Steuerung, also an der Art und Weise, wie derzeit mit diesen vielfältigen Krisen vonseiten der Politik umgegangen wird. Ob Klimakrise, Verlust von Biodiversität, Belastung von Grundwasser oder ausgelaugte Böden – all diese Krisen können auch als Krise des Politischen selbst und damit auch als Krise der Demokratie verstanden werden. Ziel ist aber keine Abschaffung der Demokratie, sondern ihre Demokratisierung. Durch die Kritik und den Protest der sozialen Bewegungen in den genannten Handlungsfeldern wird damit gerade die Frage in den Mittelpunkt gerückt, welche (neuen) demokratiepolitischen Strategien und Instrumente es braucht, um den Übergang in eine ökologisch und sozial nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einzuleiten und zu gestalten.
Niemand hat für diese umfassende Transformation die eine abschließende Antwort. Stattdessen sind wir mit zahlreichen offenen Fragen konfrontiert, die die noch relativ junge Debatte um die Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse prägen und auf die Aktivist*innen in den Bewegungen (und auch activist scholars* in den Wissenschaften) Antworten suchen (Gottschlich/Hackfort 2016):
- Wie lassen sich der Zugang, die Nutzung von sowie die Kontrolle über Natur und Ressourcen demokratisch(er) organisieren?
- Wie lässt sich das Verhältnis von Gesellschaft zu Natur selbst weniger herrschaftsförmig gestalten?
- Wie können Handlungsspielräume gesellschaftlich und individuell erweitert werden, um angemessen auf sozial-ökologische Krisen zu reagieren?
- Welche (neuen) demokratischen Institutionen, Organisationsformen und -prozesse braucht es, um zu entscheiden, was zu welchem Zweck und unter Inkaufnahme welcher sozialen und ökologischen Kosten wie und von wem produziert wird?
- Welches Wissen fehlt für den Wandel von Externalisierungsdemokratien zu (vor)sorgenden Demokratien?
- Wo gibt es bereits existierende Formen der sozial-ökologischen demokratischen Selbstorganisation und -steuerung? Was war nötig für ihre Realisierung und durch welche (neuen) politischen Institutionen werden sie abgesichert?
In diesen Fragen stecken bereits normative Grundannahmen und damit Ideen, in welche Richtung es gehen kann beziehungsweise soll. Denn die verschiedenen Bewegungen, die eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse vorantreiben (wollen), eint, dass sie einen Wandel von einer Externalisierungsdemokratie hin zu einer (vor)sorgenden, solidarischen Demokratie anstreben. Externalisierungsdemokratien verlagern zum Zweck des eigenen Wohlstands und der inneren Stabilität einen Großteil der anfallenden sozialen und ökologischen Kosten auf andere – und zwar räumlich (zum Beispiel auf Regionen, auf Menschen und Natur im globalen Süden), innergesellschaftlich (auf diskriminierte Gruppen und Natur im globalen Norden) und zeitlich (zu Lasten von zukünftigen Generationen). (Vor)sorgende, solidarische Demokratien zielen hingegen auf das Gute Leben für alle ohne Externalisierungen.
Sie stellen Solidarität, Gerechtigkeit und Care (und damit das relationale Sorgen für sich, für andere, für Natur und auch für Demokratie) ins Zentrum des politischen Gemeinwesens (siehe zum Beispiel I.L.A. Kollektiv 2019; Gottschlich/Katz 2019 und Konzeptwerk Neue Ökonomie/DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften 2017).
Doch die Ausrichtung auf eine (vor)sorgende Demokratie ist gesamtgesellschaftlich umstritten, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass „das Wesen der Demokratie der Konflikt ist und es zum demokratischen Prozess selbst gehört, Interessenkonflikte zu organisieren und Differenzen auszuagieren“ (Salzborn 2015: S. 14f.). Die (vor)sorgende, solidarische Demokratie ist also nur ein Vorschlag unter vielen, wie das widersprüchliche Verhältnis von Legitimation und Steuerung, den beiden zentralen Elementen von Demokratie (ebd.), zu gestalten ist.
Eine (vor)sorgende, solidarische Demokratie braucht Partizipation
Doch das Besondere ist, dass die Idee einer (vor)sorgenden, solidarischen Demokratie auf einer doppelten Kritik gründet und weder primär nur auf die Input- noch auf die Output-Seite des politischen Systems fokussiert ist: Denn ihre Vertreter*innen sehen sowohl Defizite, was die Legitimation von politischen Entscheidungen angeht, als auch werten sie die Ergebnisse von politischer Steuerung als nicht ausreichend, um soziale Ungleichheit zu bekämpfen und die ökologische Reproduktionsfähigkeit zu erhalten.
Um den Legitimationsdefiziten zu begegnen, werden umfassendere Partizipationsmöglichkeiten gefordert. So entstand beispielsweise die Bewegung für Ernährungsdemokratie aus Kämpfen gegen neoliberale Handels- und Landnutzungsregime, die große Gruppen von Menschen von der Teilnahme an der Gestaltung der Ernährungssysteme einschränken oder ausschließen. Stattdessen zielt die Bewegung für Ernährungsdemokratie darauf ab, allen sozialen Gruppen die Möglichkeit zu geben, sich aktiv daran zu beteiligen beziehungsweise zu verhandeln, wie ihre jeweiligen Gesellschaften die landwirtschaftliche Produktion organisieren, um sicherzustellen, dass die Ernährungssysteme die Bedürfnisse der Menschen erfüllen (McMichael 2014).
Zu den Voraussetzungen für eine so verstandene Ernährungsdemokratie ist es entscheidend, dass Räume für öffentliche Debatten und Verhandlungen geschaffen werden. Eine demokratische Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist jedoch nicht nur auf dialogische und kooperative Politikformen angewiesen, sondern auch auf Protest, Widerstand und die Bildung von Gegenmacht. Neben den Protesten im Bereich Ernährung – etwa gegen Gentechnik in der Landwirtschaft durch Öffentlichkeitsarbeit, Diskussionsveranstaltungen aber auch Feldbesetzungen oder Großdemonstrationen wie „Wir haben es satt“ – ist auch die Fridays-for-Future-Bewegung ein gutes Beispiel dafür: Ohne den weltweiten Protest von (vor allem) jungen Menschen, wäre das Thema Klimakrise nicht in der politischen Prioritätenliste so weit nach oben gerückt.
Gerechtigkeit, Vorsorge und Care als Ausgangspunkte politischer Gestaltung
Um den Steuerungsdefiziten zu begegnen, wird in den sozialen Bewegungen aber nicht nur mit einem rein prozessualen Demokratiebegriff, der das Streiten, das Verhandeln und die Suche nach Kompromissen umfasst, gearbeitet. Demokratie wird in den sozialen Bewegungen, die sich für eine Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse einsetzen, auch substanziell bestimmt (Friedrich et al. 2019). Um beim Beispiel der Ernährungsdemokratie zu bleiben: Es geht ganz konkret um Formen, Ergebnisse und Auswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion und diese sollen sich an Nachhaltigkeit orientieren. Ein kritisch-emanzipatorisches Verständnis von Nachhaltigkeit wiederum ist gekennzeichnet durch eine Orientierung an intra- und intergenerativer Gerechtigkeit, an Vorsorge und an Care und damit an der Anerkennung der grundlegenden Abhängigkeiten von menschlichen und nicht-menschlichen Welten sowie der Angewiesenheit und Verletzlichkeit allen Lebens.
Gerechtigkeit, Vorsorge und Care zum Ausgangspunkt politischer Gestaltungspraxis zu machen und nach gesellschaftlichen Strukturen für die Demokratisierung von gesellschaftlichen Naturverhältnissen zu fragen, bedeutet im Fall der angestrebten Ernährungsdemokratie, dass Agrarpolitik und -praktiken
angestrebt werden, die beispielsweise die Lebensbedingungen insbesondere von Kleinbäuer*innen verbessern, Zugang zu Land, faire Arbeitsstandards, den Schutz der Gesundheit von Produzent*innen und Verbraucher*innen, aber auch die (Re-) Produktivität des Bodens und Tierwohl garantieren und über eine Politik der Vorsorge zudem Entscheidungsspielräume für zukünftige Generationen erhalten.
Abgrenzung gegen rechts durch die Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse
Was unterscheidet nun diese Akteur*innen in sozialen Bewegungen mit ihren substanziellen Vorstellungen von Demokratie von Akteur*innen der extremen Rechten, die sich beispielsweise auch gegen Agro-Gentechnik, Konzerninteressen und Wachstumsideologie und für ökologischen Landbau engagieren und die Interessen von Bäuer*innen schützen wollen? Werden in diesem substanziellen Demokratieverständnis nicht auch sogenannte Letztbegründungen bemüht, vor denen zum Beispiel Samuel Salzborn (2015: S. 19f.) in seinem lesenswerten Artikel warnt? Muss nicht vielmehr alles verhandelbar bleiben? Schützt nicht nur ein prozessuales Demokratieverständnis vor Vereinnahmung durch autoritäres Denken und Handeln?
Für die Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen, die sich für eine (vor)sorgende, solidarische Demokratie einsetzen, braucht es beides – die prozessuale und die substanzielle Dimension. Es braucht eine klare Orientierung auf ein Ende der Externalisierungsdemokratie. Dies ist aber eine politische Position und keine aus der Biologie abgeleitete. Ökologische Krisen werden immer in ihrer gesellschaftlichen Dimension gesehen. Ihre Minderung beziehungsweise Überwindung zielt auf das Gute Leben für alle – überall auf der Welt und nicht nur für Mitglieder einer „deutschen Abstammungsgemeinschaft“. Es geht also weder um ein national noch um ein temporal verkürztes Verständnis von Allgemeinwohl, dafür aber um die Anerkennung der ungleichen Verantwortung für die Ursachen von sozial-ökologischen Krisen und damit auch um die Kritik an neokolonialen Strukturen etwa im globalen Ernährungssystem.
Die Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse stellt eine unabschließbare Reflexions- und Handlungsaufgabe dar, denn mit ihr verbunden ist das – notwendige – gesellschaftliche Ringen um die sozial-ökologisch gerechte Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Und das schließt auch immer eine Auseinandersetzung mit Ideen der extremen Rechten mit ein.
Literatur
Friedrich, Beate/Hackfort, Sarah/Boyer, Miriam/Gottschlich, Daniela (2019): Conflicts over GMOs and their Contribution to Food Democracy. In: Politics and Governance, 7(4), DOI: 10.17645/pag.v7i4.2082.
Gottschlich, Daniela/Hackfort, Sarah K. (2016): Zur Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse: Und warum die Perspektiven der Politischen Ökologie dafür unverzichtbar sind. In: PVS Politische Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 57(2), S. 300–322.
Gottschlich, Daniela/Katz, Christine (2019): Caring with Nature/ s: Zur transformativen Bedeutung von Care in ‚More Than Human Worlds‘. In: Gender[ed] Thoughts, Nr. 6 – Special Issue, hrsg. v. Konstanze Hanitzsch. Göttingen (online ab Oktober 2019).
I.L.A. Kollektiv (2019): Das Gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise. München: oekom.
Konzeptwerk Neue Ökonomie/DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften (2017): Degrowth in Bewegung(en). 32 alternative Wege zur sozial-ökologischen Transformation. München: oekom.
McMichael, Philip (2014): Historicizing food sovereignty. In: The Journal of Peasant Studies, 41(6), S. 933–957.
Salzborn, Samuel (2015): Politische Steuerung und ihre Legitimation: Wie demokratisch ist Naturschutz? In: Heinrich, Gudrun/Kaiser, Klaus-Dieter/Wiersbinski, Norbert (Hrsg.): Naturschutz und Rechtsradikalismus. Gegenwärtige Entwicklungen, Probleme, Abgrenzungen und Steuerungsmöglichkeiten. Bonn: Bundesamt für Naturschutz, S. 14–21.
Daniela Gottschlich
Dr. Daniela Gottschlich ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet in inter- und transdisziplinären Nachhaltigkeitsprojekten vor allem für diversu e. V., das Institut für Diversität, Natur, Gender und Nachhaltigkeit in Lüneburg.
Der Artikel ist Teil der Broschüre Prima Klima? Natur- und Umweltschutz in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung