
Neobiota: Instrumentalisierung und Verantwortung
Kaum eine Debatte im Naturschutz bietet so viele Anknüpfungspunkte für rechtsextreme Ideologien wie die um das Vorhandensein von und den Umgang mit Neobiota in Deutschland. Und nirgendwo sonst ist es so schwierig für engagierte Naturschützer*innen, Distanz zu eben diesen rechtsextremen Ideologien herzustellen. Das liegt vor allem an der Vielschichtigkeit der Thematik. Im Folgenden wird auf zwei Dimensionen eingegangen – die sprachliche und die philosophische. Die sprachliche Problematik rund um Neobiota kann leicht im Sinne eines menschenrechtsbejahenden und demokratiefördernden Naturschutzgedankens gelöst werden, während die damit zusammenhängende Frage nach einem zeitgemäßen Naturschutz sicherlich einer umfangreichen Auseinandersetzung in Fachkreisen bedarf.
Grundsätzlich geht es bei der wissenschaftlichen Debatte um die Frage, ob Pflanzen, Tiere und Pilze, die ihren Weg aus anderen Teilen der Welt nach Deutschland gefunden haben, den „deutschen“ Biotopen Schaden zufügen, sie gar zerstören oder nicht. Je nach Standpunkt geht es im Weiteren dann um Prävention, Kontrolle oder Beseitigung dieser Lebewesen.
Erwähnt sei hier, dass es abseits der wissenschaftlichen Debatte häufig bereits bei der Darstellung dieser Informationen zu Fehlern kommt. Etwa dann, wenn nicht von Biotopen, sondern von „Natur“ gesprochen wird und hiermit eine Unberührtheit suggeriert wird, die es so in Deutschland und Europa (fast) nicht mehr gibt. Oder wenn Landschaften, Biotope und Lebewesen als „deutsch“ wahrgenommen und charakterisiert werden. Zudem wird häufig nicht klar differenziert zwischen Neobiota, Archäobiota und sogenannten „invasiven Arten“.
Die Eiszeit, Christoph Kolumbus und die Globalisierung
Der Biologe Reinhard Piechocki definiert Neobiota als „Arten, die sich – ohne oder mit menschlicher Einflussnahme – in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren“. Mit „zuvor“ ist hier das Jahr 1492 (also das Jahr der Landung von Christoph Kolumbus auf den Antillen) gemeint. Alle Arten, die sich vor 1492 in einem Gebiet etabliert haben, werden als Archäobiota verstanden. Beide, sowohl Neobiota als auch Archäobiota, werden im Naturschutz als „gebietsfremd“ bezeichnet.
Einheimisch sind für den deutschen Naturschutz hingegen nur solche Arten, die ohne anthropogenen Einfluss in einem bestimmten Gebiet vorkommen. Als Zeithorizont dient hier die letzte Eiszeit.
Als „invasive Arten“ versteht der angewandte Naturschutz Neobiota, die in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen „einheimische“ Pflanzen verdrängen. In der Wissenschaft wird unter „Invasion“ hingegen der gesamte Prozess der Besiedlung eines neuen Gebietes durch „gebietsfremde“ Organismen verstanden, egal ob unerwünschte Auswirkungen vorhanden sind oder nicht.
Die wahrgenommene Zunahme an Neobiota mit „invasivem Charakter“ in Deutschland wird häufig in Verbindung gebracht mit dem anthropogen verursachten Klimawandel und der Globalisierung. Handel, Transport, Verkehr und die veränderten Temperaturen werden verantwortlich gemacht für das Auftreten von Neobiota.
Die Maßnahmen gegen Neobiota lauten: verhindern, kontrollieren und beseitigen. Den rechtlichen Rahmen dazu bieten die Biodiversitätskonvention von 1992, das Bundesnaturschutzgesetz von 2004 und die EU-Verordnung Nr. 1143/2014 aus dem Jahr 2014. Einigkeit besteht hier darin, dass überhaupt gegen „gebietsfremde Arten“, die den „einheimischen Arten“ „gefährlich“ werden, vorzugehen ist.
Vom Neobiota zum „Fremdling“
Ein häufig herangezogenes Beispiel für eine invasive Art in Deutschland ist die Herkulesstaude. Da sie bei Menschen zu schweren Hautausschlägen führen kann, wird sie vielerorts rigoros bekämpft. Auch der Rote Sumpfflusskrebs hat in den letzten Jahren immer wieder mediale Aufmerksamkeit erfahren. So schrieb der Tagesspiegel anlässlich seines Auftretens im Berliner Tiergarten: „Dem Senat bereiten die Fremdlinge Kopfzerbrechen“ und der Fokus legte nach mit „Plage in Berlin – Roter Flusskrebs erobert die Hauptstadt“.
Fremdlinge, Plage, Eroberung: Nicht nur die Tagespresse nutzt diese Bilder, wenn es um Neobiota geht, auch die populärwissenschaftliche Literatur bedient sich einer Sprache, die Zweifel daran aufkommen lässt, dass es sich hierbei um ein Thema aus dem Spektrum „Naturschutz“ handelt. So heißt es etwa auf dem Klappentext von „Unheimliche Eroberer: Invasive Pflanzen und Tiere in Europa“: „Unbemerkt wandern Tier- und Pflanzenarten von anderen Kontinenten bei uns ein. (…) Sie bedrängen, ja verdrängen die einheimische Flora und Fauna (…), sie bringen Menschen und Tieren Krankheiten, auf die wir Europäer nicht vorbereitet sind.“
Die Botschaft ist klar: Die Verdrängung von „einheimischen“ durch „gebietsfremde“ Arten ist nicht nur unerwünscht, sondern vielmehr eine Bedrohung. Eine Begründung für diese Aussage wird oftmals nicht gegeben – die Markierung als„fremd“ ist hier offenbar schon Begründung genug. Es wird einfach angenommen, dass den Leser*innen dieses Zusammenspiel unmittelbar plausibel erscheint.
Letztlich erfahren wir hier mehr über die Autor*innen, die Leserschaft und über den gesamtgesellschaftlichen Zustand, in dessen Kontext solche Überschriften und Texte verfasst werden, als über das Zusammenspiel von Naturschutz und Neobiota. Wir erfahren, dass nicht-europäisch sein als Bedrohung (Eroberung) erlebt wird. Der Schritt von hier zu neu-rechten Verschwörungstheorien wie etwa der „Umvolkung“ ist nicht mehr weit. Die Übertragung von vermeintlich naturwissenschaftlichen Fakten auf menschliche Gesellschaften werden von extrem Rechten gezielt eingesetzt.
Konservativer vs. progressiver Naturschutz
Es gibt unterschiedliche Bewertungen im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit der beschriebenen Unterscheidungen und daraus abzuleitender Maßnahmen. Der konservative Naturschutz geht von einem holistischen, ganzheitlichen Verständnis der Natur aus. Innerhalb dieses Verständnisses hat jedes Individuum seinen organisch gewachsenen Platz, den es einzig und allein einnehmen muss, um das große Ganze zu erhalten. Der Wert des Systems ist dem Wert des Individuums übergeordnet. Aus dieser Sicht werden vor allem Fragen nach dem Schaden von Veränderungen an Ökosystemen aufgeworfen. Natur und Landschaft entsprechen eher einem Museum, in welchem die Exponate besonderen Schutzes bedürfen. Hinzu kommt ein ästhetisches Verständnis von Landschaft: Die Vorstellung, welche Arten in welchem Ausmaß in bestimmten Regionen vorzukommen haben, ist von einer ästhetischen Bewertung bestimmt.
Dem setzt der progressive Naturschutz eine Kritik an der Bewahrung einer scheinbar ursprünglichen Landschaft entgegen. Ästhetische Motive eignen sich nicht für eine objektive Beurteilung von Veränderungen am Landschaftsbild. Die jetzigen „Kulturlandschaften“ sind, wie das Wort ja bereits sagt, durch kulturelle Prozesse, also durch den Menschen, geschaffen worden. Der Verweis auf durch den Menschen eingeschleppte „invasive Arten“ läuft deshalb unter Anhängern des progressiven Naturschutzes ins Leere. Das „Einschleppen“ von Arten sei kein größerer oder kleinerer „Eingriff“ in die Natur, als es das Formen von „Kulturlandschaften“ bereits gewesen ist.
Natur und Landschaft werden als dynamische Systeme und nicht als Denkmäler verstanden. Ebenso weisen progressive Naturschützer*innen darauf hin, dass es sich bei nationalstaatlichen Grenzen um menschliche Konstrukte handelt, die für Tiere und Pflanzen keine Bedeutung haben.
Von den „bodenständigen“ Pflanzen zu den invasiven Arten
Bereits im 1904 gegründeten Bund Heimatschutz findet sich die Vorstellung vom „Eigenen“ und vom „Fremden“. In § 1 der Satzung des Bund Heimatschutz hieß es unmissverständlich: „Der Zweck des Bundes ist, die deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart vor Verunglimpfung zu schützen.“ Verunglimpft wurde nach Auffassung des Bund Heimatschutz die „deutsche Heimat“ durch die Industrialisierung, durch das Wachsen der Großstädte, durch Errungenschaften der Aufklärung (Selbstbestimmung, Emanzipation und Gleichheit der Menschen), durch die Entwurzelung der Menschen in den Großstädten, durch Geld und Handel und durch den „jüdischen Geist“. Der damalige Vorsitzende des Bund Heimatschutz führte in diesem Zusammenhang weiter aus: „Der Grund für flaue Physiognomie unserer allgemeinen Umwelt ist die übermäßige Vermehrung der Unschöpferischen, der Gestaltund Farblosen, der Halb- und Viertelmenschen, der Schönheitsarmen und deshalb auch Schönheitshungrigen, die unserer Zeit ihren Stempel aufdrücken.“
Später findet sich die Unterscheidung zwischen „heimischen“ und „gebietsfremden“ Arten und eine damit verbundene Wertung auch bei den Nationalsozialisten. Hier sprach man von „bodenständigen“ Arten. Ihnen wollte man deshalb den Vorzug geben, weil man, im Sinne der „Blut-und-Boden“-Ideologie, davon ausging, dass der „deutsche Mensch“ nur aus „deutschen Landschaften“ hervorgehen und erhalten werden könne. Unter dieser Prämisse arbeiteten die nationalsozialistischen „Landschaftsanwälte“ beispielsweise an der Begrünung der deutschen Autobahn und der Grüntarnung des Westwalls.
Und auch im rassenideologischen Vernichtungskrieg im Osten spielte die Vorstellung von „deutschen Landschaften“ und „bodenständigen“ Pflanzen eine Rolle: Als Heinrich Himmler 1940 von Adolf Hitler mit der Aufgabe betraut wurde, „deutsche Volkstruppen“ in den „eingegliederten“ Ostgebieten anzusiedeln, bedeutete das schlussendlich die Vertreibung und den Massenmord an Millionen von Menschen zu organisieren, um dann neue Siedlungsgebiete zu strukturieren und diese auch landschaftlich zu „deutschen Gebieten“ zu machen. Schließlich sollte hier neuer „Lebensraum“ für das „deutsche Volk“ entstehen. Wissenschaftlich wurde die „Blut-und-Boden“-Ideologie durch die Arbeiten des Pflanzensoziologen Reinhold Tüxen und sein Konzept der „potentiell natürlichen Vegetation“ scheinbar belegt.
Fazit
Bei der Debatte um Neobiota hätten Naturschützer*innen zunächst den Auftrag, sich einer Sprache zu bedienen, die frei von Begrifflichkeiten aus der Migrationspolitik ist und die zudem keine völkischen und rassistischen Kontinuitäten aufweist. Der Verweis darauf, dass Wörter wie „invasiv“ und „heimisch“ auch schon vor der migrationspolitischen Krise im Naturschutz Anwendung gefunden haben, greift im Hinblick auf die dargestellten historischen Kontinuitäten und unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Lage zu kurz.
Zudem wäre eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursprüngen und Kontinuitäten von Konzepten (wie etwa dem der „potentiell natürlichen Vegetation“) und der Ideengeschichte des Landschaftsbegriffes notwendig. Denn erst, wenn sichergestellt werden kann, dass es bei der Debatte um Neobiota nicht um den Erhalt von „Heimat“ und auch nicht um Kulturpessimismus geht, kann in dieser Frage wirklich „naturfreundlich“ agiert werden.
Lukas Nicolaisen & Yannick Passeick
Der Artikel ist Teil der Handreichung "Rechtsextreme Ideologien im Natur- und Umweltschutz"