29.02.2024
Angebote aus dem Bereich der Umweltbildung oder alternativer Pädagogik leben oft von der Erfahrung von Gemeinschaft, Naturverbundenheit und Besinnung auf alte Erzählungen. Im folgenden Beitrag geht es um die Rückbesinnung einer ganzen Bewegung auf eine vorindustrielle Zeit, in der eine wissenschaftlich nicht nachgewiesene Menschengruppe den russischen und europäischen Raum besiedelt haben soll. Die Erzählung über die sogenannten Wedrussen dient Wladimir Megre in seiner zehnbändigen Romanreihe als Bezugspunkt zu einem naturverbundenen Volk, das allwissend gewesen sein soll und mit seiner Vertreterin Anastasia den deutsch-russischen Arierkult erneut in die Welt trägt.
Ursprünglichkeit, Reinheit und Weisheit bilden wichtige Werte in den Anastasia-Büchern, die im deutschsprachigen Raum in esoterischen, ökologischen und völkischen Milieus ihre Anhängerschaft finden. Sie sind Teil klarer Anleitungen zum Umgang mit der Natur, zur Kindererziehung und Bildung. Welchen Begriff von Erziehung und Bezug zur Natur hat Wladimir Megre in den Romanen manifestiert und wie verbreiten seine Anhänger*innen sein antisemitisches Gedankengut?
Natürlich, bewusst, demokratiefeindlich?
Natürliches Lernen in der Schule der Zukunft, glückliche Kinder, die lernen „in Symbiose mit der Natur zu leben“ – das verspricht Ricardo Leppe in seinen zahlreichen Videos und Vorträgen. Name und Überzeugung seines Vereins: Wissen schafft Freiheit. Gemeinsam mit seinem verschwörungsideologischen Umfeld vermittelt Ricardo Leppe vermeintliche Kenntnisse über Prozesse in der Natur. Diese sollen die Menschen dazu befähigen, sich aus staatlichen Systemen zu befreien und eigene Strukturen aufzubauen. Gemeinsam mit seinem Bruder Elias Leppe knüpft er seit Pandemiebeginn an bestehende Freilernen-Strukturen an und hat es auf Telegram mit über 42.000 Abonnent*innen zum Freilernen-Influencer im deutschsprachigen Raum gebracht. Als Teil von Freilernen verstehen sich Initiativen mit unterschiedlichen Zielen und allgemein auch unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Von kleinen Nachmittagstreffen ergänzend zum Schulbesuch über die Gründung von Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft bis zur Schulverweigerung reicht die Szene, an die Leppe Anschluss gefunden hat. Zu den Grundelementen seiner Überzeugungen gehören der Glaube an die Germanische Neue Medizin (GNM) und ihm zufolge „die intelligenteste Buchreihe“, die er in seinem Leben gelesen hätte – und das nach eigener Angabe bereits drei Mal: die demokratiefeindlichen Anastasia-Bücher.
Esoterische Erziehung
Die ideologischen Grundlagen und Vorstellungen der Anastasia-Anhänger*innen von Erziehung finden sich zu großen Teilen in den Anastasia-Büchern wieder. Die kindliche Entwicklung wird darin vor allem unter esoterischen Gesichtspunkten behandelt. Bereits vor der Geburt werde heute von den meisten werdenden Eltern zu wenig für das „immaterielle Ich“ getan und so „[…] machen sie sie wissentlich zu Krüppeln“ (Band 4, S. 186), erläutert der Autor durch die Heilsbringerin Anastasia im vierten Band. Hier werden die Eltern aber nicht allein als Schuldige für das Gebären „geistig behinderte[r] Kinder“ erkannt (Band 4, S. 187). Technokratie und die sogenannten „Dunkelmächte haben es darauf angelegt, die Verbindung zum göttlichen Geist schon vor der Geburt zu kappen“ (ebd.). In einigen Textpassagen vermengen sich Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen) mit der antisemitischen Erzählung der die Welt kontrollierenden „Dunkelmächte“ der gesamten Buchreihe.
Dem gegenüber steht das Idealbild eines im esoterischenSinne gesunden, geistig erfolgreich entwickelten Kindes, das es zu einem „[…] Wesen von höchster kosmischer Weisheit […]“ (Band 1, S. 88) geschafft hat. Denn, ohne dass die künstliche – in Megre’s Logik von Menschen gemachte – Umwelt auf das Kind einwirkt, soll es durch die noch geöffnete Fontanelle (Schädeldecke) einen „riesigen Strom kosmischer Informationen [empfangen]“ (Band 1, S. 89). Diesen Zustand gelte es zu erhalten und mit möglichst wenig bis keinem menschengemachten Spielzeug und später möglichst wenigen Bücher und Lehrmaterialien zu stören. Ergebnis dieser Erziehung wären Kinder im Alter von elf Jahren mit der Fähigkeit zur Gedankenübertragung und schneller Wissensaneignung jeglicher Wissenschaften per Gedankenkraft (Band 1, S. 100–101). Umgesetzt sieht Megre diese Prinzipien in der Schetinin-Schule [1], die in begeisterten Berichten in seinen Büchern Erwähnung finden.
Ricardo Leppe ist nicht nur großer Fan der Schetinin-Schule, er übernimmt ihr Konzept gemeinsam mit Aspekten der Anastasia Bücher als ideologischen Bezugspunkt: frei lernen, natürlich lernen und eine Souveränität erlangen, die vielen Menschen abhandengekommen sei. Frei von staatlichen Strukturen, natürlich durch Unterrichtseinheiten mit viel Naturbezug und neben Schreibenlernen und Grundrechnen keine weiteren gängigen Schulfächer. Über den eigenen Körper und seine Natur Lernen und die Beziehung zu anderen Menschen stünden im Vordergrund. Was sich zunächst noch harmlos bis interessant anhört, ist getrieben von dem Glauben an telepathische Kräfte und der Ablehnung des abstrakten Denkens. Naturwissenschaftliche Grundsätze, wie zum Beispiel die Schädlichkeit von UV-Strahlung der Sonne für Menschen mit heller Haut, hebelt er in seinen Videos in Telegram aus. Als besonders gefährlich können seine Inhalte, die im Kontext der Germanischen Neuen Medizin stehen, erachtet werden. In seinen Lehrkonzepten sollen Kinder zwar über den eigenen Körper mehr lernen, jedoch gehört für die Leppe-Brüder dazu, hinter jeder Krankheit einen höheren Sinn oder einen seelischen Konflikt zu sehen. Seit Beginn seiner Aktivitäten ist die Bezugnahme und Verbreitung des Konzepts der sogenannten Germanischen Neuen Medizin grundlegend. In Konsequenz bedeutet das für die Gläubigen dieser antimodernen Lehre, sich nicht impfen zu lassen, Zeckenbisse und damit einhergehende Infekte als schicksalhaftes Ereignis anzunehmen und Krankheiten wie Diabetes oder Krebs nicht mit wissenschaftsbasierter Medizin zu behandeln. In den zuletzt genannten Beispielen kam es bereits zu zahlreichen Todesfällen (Psiram 2023a).
Autoritäres Scheitern
„Jemand mit einer klaren Vision oder ein Pärchen muss vorgeben wo es lang geht.“ Dies sei der wichtigste Grundsatz zum Gründen einer eigenen Schule laut Leppe. Das hat bei Norman Kosin, alias Felix Kramer, und seinem Bildungsprojekt Akademie Elysion nicht besonders gut geklappt. Nachdem er eine steile Radikalisierung in rechtsesoterische und verschwörungsideologische Sphären hinter sich brachte, hat es nicht mal zwei Jahre gedauert, bis er sein Projekt für gescheitert erklärte. Im Internet startet er 2020 mit weiteren rechtsesoterischen Akteur*innen als „BewusstseinsHelden“ und verbreitet die QAnon-Erzählung, Verschwörungsideologie und Anastasia-Lehre. Kurze Zeit später knüpft er mit einer neuen Initiative namens „KreisMenschSein“ an, kauft ein 53 Hektar großes Grundstück in der Steiermark und plant ein eigenes Dorf samt „Akademie“. An diesem Ort soll über Handwerk, Baumschnitt oder Gemüseanbau gelehrt und gelernt werden. Im Sommer 2022 veröffentlicht Kosin in einem Blogbeitrag das Scheitern des Projekts. Als Grund gibt er unter anderem nicht lösbare Konflikte mit zugezogenen Siedler*innen an. Könnte der elementare Faktor Gemeinschaft, den viele Akteur*innen der Anastasia-Bewegung in Aussteigertum und Siedlungsaufbau suchen, am Ende der Aspekt sein, an dem sie immer häufiger scheitern? Den eigenen Plan einer Siedlung nach eigenem Geschmack umzusetzen, setzt möglicherweise einen gewissen Narzissmus und Autoritätsansprüche voraus. Wird nicht nach der angespielten Musik getanzt, muss man wohl aus dem Projekt ausscheiden.
Zivilgesellschaftliche Intervention und kritischer Journalismus wirken
Das rechtsesoterische Freilernen und die Aufrufe nach Schulgründungen und Vernetzung zu den in diesem Beitrag angerissenen Themen gewinnen zurzeit an Zuspruch. Umso wichtiger sind aufmerksame und aktive Gegenstimmen. Im Mai 2023 wurde Ricardo Leppe nicht zum ersten Mal ausgeladen, diesmal jedoch begleitet von Protest und einer Unterschriftenaktion, die unter dem Aufruf „Kein Geschäft mit braunen Esoteriker:innen!“ über 3.400 Unterstützer*innen fand. Der Esoterik-Kongress fand, zwar ohne Leppe, dennoch statt (Tagesanzeiger 2023). Der öffentliche Protest dagegen und die Aufmerksamkeit ging jedoch über die Schweizer Grenzen hinaus. Störungen im Ablauf bei Veranstaltungsplanungen von Ricardo Leppe oder entlarvende Berichterstattung über den antisemitischen Kern der Anastasia-Bücher nimmt Leppe auf, um sich als Opfer der Medien zu inszenieren. Ein Rückgang der Abonnent*innenzahl ist nicht zu vermerken, aber die sympathisch lächelnde friedliche Fassade bekommt Risse. Diese wurden im Sommer 2023 mit der Veröffentlichung der Verfassungsschutzberichte aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie auf Bundesebene mit der Einstufung der Anastasia-Bewegung als rechtsextremen Verdachtsfall vermutlich noch etwas tiefer. Die Einstufung als Verdachtsfall ist Ergebnis kontinuierlicher zivilgesellschaftlicher, journalistischer und wissenschaftlicher Arbeit und Aufklärung über die demokratiefeindlichen Bestrebungen. Es bleibt zu beobachten, wie die Szene damit umgeht. Der demokratischen Zivilgesellschaft vor Ort kann die Einstufung jedenfalls dazu dienen, schneller wirksam auf rechtsesoterische Aktivitäten hinzuweisen und deren Vereinnahmung im öffentlichen Raum zu verhindern. Vereine und Verbände der Umweltbildung können ebenso daran anknüpfen und die Anschlusssuche durch Anhänger*innen der Anastasia-Bücher einfacher unterbinden.
Literatur und Quellen
Tagesanzeiger (2023): Esoterik-Kongress im Volkshaus. Umstrittener Redner darf nicht in Zürich auftreten. Online: https://www.tagesanzeiger.ch/umstrittener-redner-darf-nicht-in-zuerich-auftreten-143292514622
Psiram (2023a): Opfer der Germanischen Neuen Medizin. Online: https://www.psiram.com/de/index.php/Opfer_der_Germanischen_Neuen_Medizin
Psiram (2023b): Schetinin Schule. Online: https://www.psiram.com/de/index.php/Schetinin_Schule
Pöhlmann, M. (2017): Natürliches Lernen? Zum esoterischen Hintergrund von „Laising“ und „Lais-Schulen“. In: Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen. 80. Jahrgang. Materialdienst der EZW. Hannover, S. 163–171.
Anastasia-Bücher:
Band 1, 13. Taschenbuch-Auflage, September 2017. Govinda-Verlag GmbH.
Band 4, 2. Taschenbuch-Auflage, August 2011. Govinda-Verlag GmbH.
[1] Das Konzept der Schule, auch als Tekos-Schule bekannt, geht auf den ehemaligen Musiklehrer Michail Petrowitsch Schetinin zurück, der neben der intensiven Förderung von Nationalstolz auch Megres Anastasia-Kult in sein Konzept miteinfließen ließ. 1993 wurde die internatsähnliche Einrichtung eröffnet und lässt durch Befürworter*innen Darstellungen über herausragende Lernleistungen der dort lebenden Kinder und Jugendlichen verbreiten. Kritische Berichterstattungen weisen auf den autoritären und militärischen Drill, der dort herrschen soll, hin (Pöhlmann 2017, S. 169). Nach ihrem Austritt meldeten einige Jugendliche „erlittene Körperstrafen und erzwungene Strafübungen vor anderen Schülern“ (Psiram). Schetinin starb 2019. Im selben Jahr musste die Einrichtung wegen starker Mängel geschlossen werden (ebd.). Die sogenannte Schetinin-Schule dient weiterhin als Vorbild und Orientierung innerhalb der Anastasia-Anhängerschaft.
Anna Weers
Anna Weers ist Referentin für Rechtsextremismus in ländlichen Räumen bei der Amadeu Antonio Stiftung. Sie studierte an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und arbeitet zu den Themen rechte Landnahme, Ökologie und Esoterik. Im Rahmen des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention vernetzt sie zivilgesellschaftliche Akteur*innen in ländlichen Räumen miteinander.
Dieser Artikel ist Teil unserer Handreichung "Die extreme Rechte und Menschenfeindlichkeit in der Umweltbildung".