„Wir haben es satt“-Demo formuliert klares „Nein“ gegen Rassismus
Seit 2011 findet jedes Jahr im Januar in Berlin die „Wir haben es satt“-Demo statt. Bäuerinnen und Bauern, Lebensmittelhandwerker*innen, Natur-, Umwelt- und Tierschützer*innen, Aktive der Entwicklungszusammenarbeit, junge Menschen, kritische Bürgerinnen und Bürger engagieren sich gemeinsam gegen industrielle Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion und für eine bäuerliche, ökologischere und damit soziale, tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in Deutschland und weltweit. 2018 kamen erneut 33.000 Menschen bei der Demo zusammen.
Zunehmend sind Aktive für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung aber damit konfrontiert, dass rechte Gruppen und rechtspopulistische Bewegungen offen zu Agrarpolitik Position beziehen. Das Verständnis, Naturschutz als Teil des Heimatschutzes zu denken, ist dabei nicht neu, sondern fester Bestandteil einer rechten Ideologie. Gleichwohl hat sich die rechte Akteurslandschaft erweitert und umfasst neben altbekannten Akteur*innen wie der NPD oder völkischen Siedler*innen in ländlichen Gebieten auch die modern und „hip“ anmutende Identitäre Bewegung (IB), die sich zunehmend radikalisierende Protestbewegung Pegida und die im Bundestag vertretene AfD. Hinzu kommen zahlreiche Publikationsorgane mit rechter oder „neurechter“ Ausrichtung wie die Wochenzeitung „Junge Freiheit“, das Magazin „Sezession“ und der Antaios-Verlag.
Viele der rechten Gruppen und Parteien haben sich in den letzten Jahren in unterschiedlicher Form zu Landwirtschaft, Agrarpolitik und der Entwicklung ländlicher Räume positioniert. Die NPD lehnt in ihrem Parteiprogramm Gentechnik ab. Die IB verwendet in einem Werbevideo Bilder von grünen Äckern und wendet sich gegen eine „McDonaldisierung unserer Welt“. Die neurechte und Pegida-nahe „Ein-Prozent“-Bewegung tritt als Unterstützerin von Bauern auf. Völkische Siedler*innen betreiben Biolandwirtschaft. Die Zeitschrift „Umwelt & Aktiv“, die laut Bayerischem Verfassungsschutz von überwiegend Rechtsextremen herausgegeben wird, gibt auf ihrer Webseite Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft oder des Bundesamtes für Naturschutz wieder. Und die AfD fordert in ihrem Wahlprogramm 2017 die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft.
Heimat und Ablehnung der Globalisierung
Ein zentrales Bindeglied dieser Forderungen und Aktivitäten ist eine herausragende Betonung von Heimat und die Ablehnung von Globalisierung. Beides wurde in der Vergangenheit von rechten Bewegungen auch als Schnittmenge zwischen sich und Demonstrationen wie „Wir haben es satt“ oder „Stop TTIP und CETA“ dargestellt. So kam es zu vereinzelten Teilnahmen rechter oder rechtspopulistischer Gruppierungen auf Demos wie 2012 bei „Wir haben es satt“ und 2015 gegen TTIP und CETA. Taktik ist dabei, einzelne Passagen aus Demo-Aufrufen herauszusuchen, in Zusammenhang mit eigenen Forderungen zu stellen und in sozialen Netzwerken zu bewerben.
Zudem werden eigene Bezüge hergestellt, wie beispielsweise bei der „Wir haben es satt“-Demo 2012 mit einer Aktion von Kameradschaftsvertreter*innen gegen das Schächten oder auf der TTIP-Demo 2015 mit dem Aufbau einer Guillotinen-Attrappe inklusive des Textes „Pass blos auf Sigmar!“ (sic!), in Bezug auf die Verhandlungen des damaligen Wirtschaftsministers zum TTIP-Abkommen. Verbindungen zu Pegida wurden vermutet, da diese zuvor auf einer Montagsdemo einen ähnlich konnotierten Galgen gezeigt hatten, was zu Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft führte.
Auch wenn die für breitere gesellschaftliche Gruppen anschlussfähigeren Themen vordergründig für verschiedene rechte Gruppierungen eine Rolle spielen oder zu spielen scheinen, zeigt sich doch schnell die Unvereinbarkeit mit den Forderungen der Veranstalter*innen. So wird der explizite Anspruch zu internationaler Solidarität, den die Veranstalter*innen der „Wir haben es satt“-Demo ebenso wie der TTIP-Demo als untrennbaren Bestandteil der Bewegung definieren, von rechten Bewegungen weggelassen. Dabei wird sowohl durch die Aktionen auf den Demos als auch mit Blick auf ihre Forderungen klar, dass die rassistische oder nationalistische Einstellung dieser Bewegungen eine völlig gegensätzliche Politik einfordert.
Ähnliches gilt hinsichtlich handelspolitischer Forderungen. Abkommen wie TTIP, CETA und TiSA stoßen in der AfD auf Ablehnung, dabei geht es der Partei jedoch nicht um die globale Sicherung von Standards und Rechten, sondern in erster Linie um die angeblichen Interessen deutscher Unternehmen und Verbraucher*innen. Sonderklagerechte für Konzerne beispielsweise werden im Wahlprogramm als eine „gezielte Zerstörung deutscher Unternehmen“ dargestellt und die Forderung erhoben, Investitionsschutzverträge nur dann abzuschließen, „wenn sie auch deutsche Unternehmen gegen unsichere Rechtsverhältnisse absichern”.
Die Beteiligung an Demos wie „Wir haben es satt“ ist vor allem eine Strategie, um Aufmerksamkeit auf die eigene Gruppe zu ziehen, sowohl in potentiellen Unterstützer*innen-Kreisen wie auch medial. Zum anderen ermöglicht es die Darstellung einer Bewegung, die sich mit vielen, für die Gesellschaft relevanten Themen befasst. Einige rechte Gruppen nutzen die Demos deswegen vor allem als PR-Aktion oder zur Provokation. Sie erscheinen nur kurz oder teilen Fotos oder Auszüge von Demo-Aufrufen, oft auch ohne sich wirklich inhaltlich zu beteiligen oder selber auf der Demo gewesen zu sein.
Ein klares „Nein“ zu Rassismus auf Demos
Die Vereinnahmung der Forderungen nach Umweltschutz und einer anderen Landwirtschaftspolitik gilt es offen zu demaskieren. Die Veranstalter*innen der „Wir haben es satt“-Demo reagieren deshalb mit deutlichen Worten. Der Demo-Aufruf und ihre gesamte Kommunikationsstrategie formuliert ein klares „Nein“ zu Rassismus und rechter Hetze, heißt Geflüchtete willkommen und stellt die Belange und die Beteiligung von Partner*innen aus dem Globalen Süden mit in den Vordergrund. Ordner*innen der Demo werden speziell dafür geschult, rassistische Gruppen und Botschaften auf der Demo zu erkennen, und diese im Ernstfall aufzufordern, die Demo zu verlassen. Hierbei berufen sie sich auf die Grundsätze des Demonstrationsbündnisses, das für Vielfalt und internationale Solidarität steht und daher Rassismus und menschenfeindliche Haltungen auf seinen Versammlungen nicht duldet.
Die Anti-TTIP-CETA-Bewegung hat sich ebenfalls klar positioniert. Das Bündnis TTIP Unfairhandelbar formulierte deutlich, dass sein Einsatz für eine global gerechte, faire, nachhaltige und demokratische Außenwirtschaftspolitik nicht mit rechten, rechtsradikalen und völkischen Positionen, mit Antiamerikanismus und Rassismus vereinbar sei. Darüber hinaus sprechen sie die Empfehlung aus, sich nur an Initiativen zu beteiligen, die diesen klaren Standpunkt teilten. Gegen eine Beteiligung rechter Gruppierungen, die Kritik an einer neoliberalen, undemokratischen Freihandelsagenda für rassistische Argumentationen nutzten und sich an Aktionen, Demonstrationen, Petitionen und anderem beteiligten, sei man zwar nicht gefeit, allerdings sehe man in diesem Fall die Verantwortung bei den Organisator*innen, die Unerwünschtheit dieser Trittbrettfahrerei deutlich zu machen und sich dementsprechend zu distanzieren. Das Netzwerk Gerechter Welthandel, das den Widerstand gegen TTIP, CETA & Co. fortführt, hat sich ebenfalls klar positioniert für eine solidarische Welt, in der Vielfalt eine Stärke ist, und wendet sich gegen jede Form von Rassismus, Rechtspopulismus und nationalen Ressentiments.
Was können Teilnehmer*innen tun?
Wenn Teilnehmer*innen rechtspopulistische oder rassistische Rufe, Plakate oder Positionierungen auf Demos entdecken, können sie sich aktiv dagegen aussprechen. Hierfür sollten sie im Gespräch versuchen, die von den entsprechenden Personen vertretenen Positionen zu thematisieren und den Gegensatz zum Demo-Aufruf deutlich hervorzuheben. Eine Positionierung gegen Rassismus und für internationale Solidarität insbesondere mit Bäuerinnen und Bauern und den Menschen im globalen Süden kann Teilnehmer*innen dabei helfen. Auch die Formulierung einer positiven Vision für eine gerechte und umweltfreundliche Politik für alle Menschen weltweit, kann Gegenargumente liefern und den Schwerpunkt der Unterhaltung setzen. Im Zweifelsfall sollten Ordner*innen informiert werden.
Eine weitere Herausforderung ist der Umgang mit Teilnehmer*innen, die zwar vordergründig keine nationalchauvinistischen oder rassistischen Inhalte vertreten, aber ihre Zugehörigkeit zu rechtspopulistischen oder rechtsextremen Parteien sichtbar machen. Teilnehmer*innen der „Wir haben es satt“-Demo wird geraten, diese Demonstrant*innen auf die jeweiligen Parteiprogramme anzusprechen und die Differenzen zum Demoaufruf und damit der Positionierung der Veranstalter*innen hervorzuheben.
Marie-Luise Abshagen
Die Autorin ist Referentin für Nachhaltige Entwicklung des Forums Umwelt & Entwicklung und Mitglied des FARN-Fachbeirats.