18.01.2023
„Glaubt’s nicht, was die euch da draußen sagen, ich hab’ noch kein einziges Thema gefunden, wo sie uns nicht belügen“ – Ricardo Leppe weiß, wo der weiße Hase aus der verschwörungsideologischen Szene hinlaufen muss, denn er befindet sich schon längst im rabbit hole eben dieser. Seinem 2020 gegründeten Verein Wissen schafft Freiheit (WSF) folgen mittlerweile auf Telegram über 40.000 Abonnent*innen. In seinem Kanal verbreitet er neben den demokratiefeindlichen Aufrufen, sich von staatlichen Institutionen zu lösen und eigene Schulen zu gründen, diverse Anleitungen rund um die Themen Ernährung und Gesundheit. Leppe ist Anhänger der Anastasia-Bücher, vertritt die gefährliche pseudomedizinische und antisemitische Germanische Neue Medizin (GNM) und hat innerhalb kürzester Zeit den Anschluss zu anderen rechten Akteur*innen in der Szene der Verschwörungsgläubigen gefunden.
Die rechtsesoterische Anastasia-Bewegung ist eine Siedlungsbewegung, die vor allem in strukturschwachen ländlichen Räumen versucht Fuß zu fassen und weitgehende Verbindungen in die völkische Szene aufweist (siehe dazu den Beitrag von Andrea Röpke „Völkische Landnahme mit Bio-Image“ in dieser Broschüre, S. 8 ff). Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass die Akteur*innen der Anastasia-Bewegung weit über ihre Siedlungsidee und Selbstversorgung hinaus agieren. Zudem geht es um die Relevanz, welche die Anastasia-Bewegung im digitalen Raum hat, wie eng vernetzt und ideologisch verbunden sie mit völkischen Rechtsextremen ist.
Siedlungsbewegung goes Social Media
Im digitalen Raum treten Akteur*innen der Anastasia-Bewegung seit der Pandemie vermehrt auf, tauschen sich in Chat-Gruppen zu den Themen Selbstversorgung, alternative Heilmethoden, Spiritualität und Bildung aus. Was zunächst harmlos klingt, ist geprägt von demokratiefeindlichen und antisemitischen Weltbildern und überschneidet sich in Teilen mit völkischem Gedankengut und Verschwörungsideologien. Als Treiber der verstärkten Vernetzung ist auch der Protest gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu verzeichnen.
Ricardo Leppe gibt sich nahbar und verständnisvoll gegenüber den Herausforderungen, denen sich Eltern während der Pandemie, den Schulschließungen und auch dem Unterrichten zu Hause stellen mussten. Was macht Leppes „Schule der Zukunft“ so anschlussfähig? Nach Leppe reichen ein bis zwei Stunden Unterricht am Tag, der Rest der Zeit solle mit Tätigkeiten gestaltet werden, die Spaß machen. Die meisten gängigen Unterrichtsinhalte hält er für überflüssig und um Mathematik-Aufgaben zu lösen, wendet er in seinen Youtube-Videos billige Tricks und Fingerrechnen an, mit denen man den eigentlichen logischen Rechenweg nicht versteht. Es müsse mehr Wissen über die Natur und Pflanzenwelt an Kinder vermittelt werden, um gesund durch das Leben zu gehen. Zum weiteren pädagogischen Konzept gehört bei Ricardo Leppe auch, dass Kinder und Jugendliche sich untereinander Erlerntes weitergeben. Ob das vermeintlich weitergegebene Wissen richtig oder falsch ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Diese Komponenten zusammen ergeben „die Schule der Zukunft“, die Leppe sich auf seinen eigenen Plattformen ausmalt und in Fernsehplattformen wie kla.TV und Auf1, die von Rechtsextremen geführt werden oder ihnen eine Bühne bieten, teilt (Merker 2022). Einige seiner Ideen stehen in der Tradition anderer Freilernen-Initiativen, weswegen er offensichtlich an einige bereits vor der Pandemie bestehende Freilernen-Gruppen andockt und diese in seine Organisierung mit aufnimmt.
Pädagogik zwischen Kosmos und Nationalismus
In den Anastasia-Büchern wird von der seit 2019 geschlossenen Schetinin-Schule in Russland geschrieben (Band 3). Bei dieser Schule handelte es sich um ein Internat, das nach klaren Geschlechterrollen Kinder teils getrennt unterrichtete, drillte und militärisch ausbildete (infosekta 2016, S. 10 ff.). Kinder werden sowohl in der Schetinin-Pädagogik als auch in den Anastasia-Büchern, „wie im esoterischen Kontext üblich – als den Erwachsenen geistig überlegene Persönlichkeiten betrachtet, da sie noch reiner und noch nicht durch ‚moralische Dogmen‘ negativ beeinflusst seien“ (Pöhlmann 2021, S. 211). Damit scheint den Kindern und Jugendlichen noch nicht genug zugemutet, denn das pädagogische Konzept von Schetinin geht davon aus, dass Kinder „bereits das gesamte Wissen in sich [trügen]“ (ebd.). Es wäre ihnen durch eine vermeintliche Verbindung mit dem Kosmos bereits durch ihre Geburt zugetragen. Jüngere würden deshalb die älteren Kinder unterrichten. Welche Mitverantwortung die Schetinin-„Pädagogik“ derzeit im russischen Angriffskrieg hat, lässt sich ungefähr erahnen. Pöhlmann (2021) zitiert aus einem Prospekt der Schule, dass die männlichen Absolventen in den Armeedienst eintreten und durch ihre militärische Grundausbildung in jungen Jahren „von den fortschrittlichsten Einheiten der Luftstreitkräfte, des Marine Corps und des Innenministeriums angeworben“ würden (S. 214). Passend dazu erklärte sich Wladimir Putin selbst als persönlicher Unterstützer der Schetinin-Schule (ebd.).
Grund für den Aufwind esoterischer Konzepte ist vor allem die Pandemie, die geleugnet oder verharmlost wird. Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung werden von Teilen der Gesellschaft und rechtsesoterischen Kreisen abgelehnt. Dies ist schließlich der Faktor, der nicht nur Leppe mit seinen Ideen in die Karten spielt, sondern auch die verschwörungsideologischen Organisierungen gegen diese Maßnahmen befeuert hat. Hier findet sich außerdem der Schulterschluss mit Anhänger*innen der Reichsideologie (sogenannte Reichsbürger*innen). Gemeinsamwird dazu aufgerufen, staatliche Institutionen wie zum Beispiel Schulen zu meiden und eigene Strukturen aufzubauen. Diese Strategie wurde zuletzt in einer MDR-Reportage durch den Querdenken-Aktivist Andreas Martin von Mitteldeutschland steht auf noch einmal deutlich: „Ob ihr alternative Lerngruppen macht, ob ihr alternative Ernährungsprogramme macht, ob ihr alternative Landwirtschaft macht oder oder. [...] Vernetzt euch offline, bildet Gruppen – regional und überregional, weil das ist genau das, was sie nicht wollen“ (Böckmann und Datt 2022).
Zwischen Bioacker und Telegram
Die Verbreitung der problematischen Pädagogik reicht den Leppes nicht. Oft treten Ricardo und sein Bruder Elias Leppe zu zweit in den Videos auf, gefilmt im Garten oder zwischen Feldern und referieren über Reinheit und Gesundheit und wie jene zu erreichen wären. Ganz nach der Logik der GNM argumentieren die Brüder Leppe, Schmerzen bei der Menstruation und Geburt würden nur eben deswegen empfunden werden, weil die jeweilige Person „Dreck im Körper“ angesammelt hätte (Arbeitskreis Anastasia 2022). Dieser Umstand wird als unnatürlich bezeichnet, dem man ein Reinigungsprozess mit veganer Ernährungsumstellung entgegenwirken könnte. Rein und geheilt sei die Person demnach, wenn sie – mit Verweis auf die Partnerinnen der beiden selbsternannten Gesundheitsexperten – „so gut wie nicht mehr bluten“ würde. Man müsse sich die Frage stellen, warum man so viel „Dreck“ im Körper hätte, der aus dem Körper raus möchte (Telegram-Video vom Mai 2021). Gleiches gilt für Schmerzen bei der Geburt, die „natürlicher Weise“ nicht empfunden würden. Diese misogynen (Misogynie = Abwertung von Frauen) Positionen sind nicht nur pseudowissenschaftlicher Unfug, sondern auch gefährlich zum Beispiel für Schwangere, die sich dieser Ideologie anschließen und wie empfohlen ohne Unterstützung zu Hause ihr Kind gebären wollen. Diverse Erklärungen, warum Impfungen unnötig seien, Sonnencreme die umgekehrte Wirkung erziele und Erkältungen nichts mit einer Ansteckung von Viren zu tun hätten, werden über die WSF-Kanäle und Gruppen im regelmäßigen Turnus verbreitet und stehen in der Tradition der GNM.
Sendungsbewusst in alle rechten Richtungen
Insbesondere durch die Proteste gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sind verschiedene alternative bis rechte Milieus zusammengerückt, man kann von einer „neuen Lebensreformbewegung“ sprechen (Speit 2021, S. 14). Verschwörungserzählungen und vermeintliches Wissen wird online geteilt, auf den Straßen wird antisemitisch und sozialdarwinistisch gehetzt und online wie offline werden Strukturen aufgebaut, die sich gegen Errungenschaften der Moderne richten. Schulpflicht, Kinderbetreuung und evidenzbasierte Medizin sind dabei nur die in diesem Beitrag aufgegriffen Beispiele. Was sich ideologisch nahesteht und nachgewiesenermaßen vereinzelt personell überschneidet, ist nun durch die Auswertung digitaler Vernetzung in Sachsen eindrücklich sichtbar geworden: Die Anastasia-Bewegung befindet sich mitten drin im Netzwerk von völkischen Rechtsextremen und Anhänger*innen der Reichsideologie. Die Inhalte der Anastasia-Bewegung und von WSF haben zudem nachweislich den größten Einfluss auf die Gruppen, die den Protest gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung organisieren (Eltern stehen auf und Freiheitsboten) (Weers 2022; Wetzel und Kiess 2022). Dieses Ergebnis ist nicht ganz überraschend, denn einer der Gründer von Eltern stehen auf, Gerhard Praher, betreibt eine Webseite mit dem Namen cosmic-society.net, auf der er neben diversen verschwörungsideologischen Vorträgen über Außerirdische, Hohlerde und Telepathie auch ganz zentral auf die Anastasia-Bücher und die darin beschriebene Schetinin-Schule verweist.
Ausblick
Die Anastasia-Bewegung ist thematisch breiter aufgestellt, als die mittlerweile bekannteren Ideen von Familienlandsitzen und Selbstversorgung vermuten lassen. Schlussfolgernd müssen sich Akteur*innen im Nachhaltigkeitsbereich und Ökolandbau in verschiedenen verwandten Bereichen der Anknüpfungspunkte, die rechtsesoterische Ideologien aufgreifen, bewusstwerden und diesen entgegentreten. Denn auch hinter den Themen Schule und Gesundheit, bei denen es viele vermeintlich gute Alternativen gibt, kann antisemitisches und demokratiefeindliches Gedankengut stecken. Es ist eine Herausforderung für demokratische Akteur*innen im Nachhaltigkeitsbereich und insbesondere im Ökolandbau, sich abzugrenzen. Interne Positionierungsprozesse und sichtbare Statements, die von Beginn an rechtes Gedankengut ausschließen, sind unerlässlich. Verbündete und Unterstützer*innen sind an vielen Stellen zu finden, wie diese Handreichung zeigt.
Teile des Artikels sind zuerst im EFBI Digital Report 2022/02 erschienen.
Literatur und Quellen
Arbeitskreis Anastasia (2022): Die Anastasia Bewegung. Irdische Energien online. AIB Nr. 134, S. 38–39. Online: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/ die-anastasia-bewegung-irdische-energien-online
Böckmann, Nina/Datt, Thomas (2022): Lerngruppe statt Schule: Wie Querdenker versuchen, Corona zu nutzen. Online: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/querdenker-eltern-unterricht-kind...
Grotepass, Christoph (2016): Die „Germanische Neue Medizin“ von Ryke Geerd Hamer, in: Sekteninfo NRW. Online: https://sekten-info-nrw.de/information/artikel/verschwoerungstheorien/di...
InfoSekta (2016): Einordnung der Anastasia-Bewegung im rechtsesoterischen Spektrum. Online: https://www.infosekta.ch/media/pdf/Anastasia-Bewegung_10112016_.pdf
Merker, Henrik (2022): Aktivismus statt Journalismus. Online:https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-07/auf1-verschwoerun...
Pöhlmann, Matthias (2021): Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Freiburg/Breisgau.
Speit, Andreas (2021): Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Berlin: Ch. Links Verlag.
Weers, Anna (2022): Rechtsesoterische Online-Netzwerke. In: Digital Report 2022/02. Online: https://efbi.de/files/efbi/pdfs/2022_EFBI_Digital%20Report_2.pdf
Wetzel, Gideon/Kiess, Johannes (2022): Mobilisierung via Telegram – quantitative Entwicklungen, in: Digital Report 2022/02. Online: https://efbi.de/files/efbi/pdfs/2022_EFBI_Digital%20Report_2.pdf
Anna Weers
Anna Weers ist als Referentin für Rechtsradikalismus im ländlichen
Raum bei der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der
Amadeu Antonio Stiftung tätig, die Teil des Kompetenznetzwerks
Rechtsextremismusprävention (KompRex) ist.
Der Artikel ist Teil unserer Handreichung Grünes Blatt auf braunem Boden.