„Zum Beispiel wäre schon viel gewonnen, wenn wir unsere Entwicklungshilfe daran koppeln, dass in diesen Staaten, wo es extreme Jugendüberschüsse gibt, auch etwas gegen die Überbevölkerung getan wird. Und da sind wir tatsächlich zur großen Politik gezwungen, in dem wir einfach anerkennen: Diese Jugendüberschüsse, die lassen sich eben nicht ewig in den eigenen Ländern halten. Und wir sollten realistisch herangehen, wir können diese Jugendüberschüsse nicht einfach abschaffen, aber wir können durch eine kluge Außenpolitik darauf hinwirken, dass sie eingedämmt werden zumindest.“
Wer hat das gesagt?
Felix Menzel auf dem „Konservatismus Kongress“ der Jungen Alternative Bayern am 14. Juli 2018. Felix Menzel ist Herausgeber und Chefredakteur der neu-rechten Zeitschrift Blaue Narzisse und Autor des neu-rechten Antaios-Verlags sowie der Zeitschrift Sezession.
Was steckt dahinter?
Die Aussage bezieht sich auf eine vermeintliche „Überbevölkerung“ der Erde. Allerdings wird das Problem nur außerhalb Europas gesehen.
Die Vorstellung von einer „Überbevölkerung“ der Erde geht zurück auf den britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766–1834). In seinem „Essay on the Principle of Population“ (deutsch: „Das Bevölkerungsgesetz“) von 1798 stellte er die Theorie auf, dass sich die Bevölkerung exponentiell vermehre, wohingegen die Nahrungsmittelproduktion nur linear wachse. Demzufolge führe ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum zu Hungersnöten und Armut. Um dieser sogenannten „Bevölkerungsfalle“ zu entkommen, schlug Malthus sexuelle Enthaltsamkeit und die Abschaffung der Armenfürsorge vor. Eine drohende „Überbevölkerung“ sollte also durch die Verringerung der Geburtenraten, hier vor allem bei den Armen, abgewendet werden. Diese Denkrichtung ist gemeinhin als Malthusianismus bekannt und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit in jeglichen politischen Spektren.
Problematisch an diesen Gedanken ist ein sozialdarwinistisches und teils eugenisches Fundament: Es werden zunächst die Armen und Schwachen der Gesellschaft „geopfert“, um den allgemeinen Wohlstand zu sichern. Das impliziert eine Ungleichwertigkeit von Menschen – in diesem Fall eine mindere Wertigkeit der unteren Klassen.
Mit der Zeit zeigte sich, dass die von Malthus prophezeiten Horrorszenarien nicht eintraten, aber seine Ideen waren und sind weiterhin populär. Als „Neomalthusianismus“ wird eine Entwicklung der Grundideen bezeichnet, die auf strikte Geburtenkontrollen setzt. Während Malthus diese noch ablehnte, da sie mit dem christlichen Glauben unvereinbar seien, wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts offensiv für Verhütungsmittel geworben.
Der Neomalthusianismus nimmt an, dass sich das steigende Bevölkerungswachstum vor allem in Ländern des Globalen Südens wirtschaftshemmend auswirkt. Zum Wohle der (Welt-) Wirtschaft und zur Verhinderung von Kriegen müsse also für strikte Geburtenkontrollen gesorgt werden. Anhänger*innen dieser Theorie imponiert die bis 2010 in China praktizierte „Ein-Kind-Politik“. Diese habe das enorme Wirtschaftswachstum Chinas erst ermöglicht und potenzielle Konflikte verhindert. Heute finden sich neomalthusianische Ansätze nicht nur bei den extrem Rechten, sondern auch in ökologischen Bewegungen wieder. In Debatten um ökologische Fußabdrücke, Ressourcenausbeutung oder „Grenzen des Wachstums“ gibt es nicht selten Verweise auf eine nötige Beschränkung der Weltbevölkerung oder gar das Problem einer „Überbevölkerung“.
Diese Geburtenkontrollen werden im oben genannten Beispiel mit der „klugen Außenpolitik“ für den Globalen Süden gefordert, damit diese „Jugendüberschüsse“ nicht in hoher Zahl nach Deutschland kommen und die Bevölkerungsstruktur verändern.
Das zeigt auch das eindeutig rassistische Potenzial und die Furcht vor dem sogenannten „Volkstod“. Das „deutsche Volk“ oder – in diesem Fall weiter gefasst – das „europäische Volk“ wird als ethnisch homogene Gruppe gesehen, die sich als „Art“ erhalten müsse. Damit wird eine konkrete Bedrohung an die Wand gemalt, deren Lösung bevormundend, frauenfeindlich und rassistisch ist.
Was lässt sich dem entgegnen?
Es gibt kein Problem mit der Bevölkerungsdichte der Erde, sondern ein Problem mit der gerechten Verteilung und der Wirtschaftsweise.
Die weltweite Nachfrage nach natürlichen Ressourcen übersteigt laut „Global Footprint Network“ das Angebot an regenerativen Ressourcen. Derzeit bräuchte die Erde mehr als anderthalb Jahre, um den weltweiten Verbrauch an natürlichen Ressourcen eines Jahres zu decken. Es ist also durchaus angebracht in diesem Zusammenhang von „Raubbau“ zu sprechen. Nicht angebracht ist es hingegen, „die Menschen“ als Kollektiv für diesen Raubbau verantwortlich zu machen. Denn tatsächlich sind die Unterschiede zwischen Staaten und Regionen erheblich. Es sind insbesondere die Länder im Globalen Norden mit hohem Lebensstandard, die pro Kopf mehr Ressourcen verbrauchen als die Länder im Globalen Süden. Aber auch im Globalen Norden muss man differenzieren. Nicht alle steigen mehrmals jährlich ins Flugzeug. Nicht jede*r fährt mit dem Auto, kauft ständig neue Kleidung und Möbel und lebt in Einfamilienhäusern. Nicht jede*r isst täglich Fleisch und Milchprodukte. Auch im Globalen Norden sind nicht „die Menschen“ als Kollektiv verantwortlich.
Rechtsextreme verlagern Fragen nach Ressourcenverbrauch vor allem auf den afrikanischen Kontinent. Die Logik dahinter ist rassistisch und muss als solche benannt werden. Demokratische Umweltschützer*innen erkennen an, dass jede Form von Bevölkerungspolitik Symptome gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufweist (zum Beispiel Rassismus, Sexismus, Ableismus) und stellen deshalb deutliche Distanz zu diesen Denkmodellen her.
Eine menschenrechtsbejahende Umweltpolitik stellt stattdessen Gerechtigkeitsfragen. Sie fragt, wie viel verbraucht werden darf, damit alle Menschen heute und in Zukunft ein gutes Leben führen können. Sie stellt zudem die Frage nach der historischen ökologischen Schuld des Globalen Nordens und nach der daraus resultierenden Wiedergutmachung.
„Wir leben in einer beschränkten Welt, und es gibt verschiedene Ansätze, wie man damit umgehen kann, aber ich habe da eine gute Botschaft, im Moment wächst die Bevölkerung global nur noch, weil die Leute – und das finde ich durchaus etwas Positives – älter werden, weil die Gesundheitsbedingungen besser geworden sind, und wir bewegen uns global auf ein Bevölkerungsgleichgewicht von 10 bis 11 Milliarden zu.“
Balthasar Glättli, Grüne Partei der Schweiz, am 19. August 2014, in einem Interview mit infosperber.ch
Der Artikel ist Teil des Leitfadens "Wenn Rechtsextreme von Naturschutz reden – Argumente und Mythen".