„Wenn hierzulande natürliche Gegenspieler fehlen wie Freßfeinde oder Krankheiten und die „Einwanderer“ aufgrund ihrer erfolgreichen Vermehrungs- und Verbreitungsstrategien dominante Bestände ausbilden können, ist es durchaus realistisch, nicht nur von einer Verdrängung, sondern sogar vom Aussterben einzelner Tier- und Pflanzenarten zu sprechen, da Gegenmaßnahmen nicht nur äußerst schwierig, sondern größtenteils unmöglich sind.“
Wer hat das gesagt?
Laura Horn in der Ausgabe 1/2009 der Zeitschrift Umwelt & Aktiv. Horn ist regelmäßige Autorin der als Mitgliederzeitschrift des Midgard e.V. herausgegebenen rechtsextremen Umwelt & Aktiv. Das NPD-nahe Magazin verbindet in seinen Ausgaben Natur-, Heimat- und Tierschutzthemen mit völkischen Ideologien.
Was steckt dahinter?
Dieser Satz könnte genau so in jeder beliebigen Publikation von Natur- und Umweltschutzverbänden, staatlichen Institutionen oder wissenschaftlichen Studien stehen. Und genau das ist ein Problem.
Dieses Zitat ist im Kontext der Naturschutzdebatte um sogenannte Neobiota zu verstehen. Neobiota sind Arten, die sich in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren. Mit „zuvor“ ist hier das Jahr 1492 (also das Jahr der Landung von Christoph Kolumbus auf den Antillen) gemeint. Alle Arten, die sich vor 1492 in einem Gebiet etabliert haben, werden als Archäobiota verstanden. Das Bundesamt für Naturschutz bezeichnet sowohl Neobiota als auch Archäobiota als „gebietsfremd“. Einheimisch sind für viele deutsche Naturschützer* innen hingegen nur solche Arten, die ohne menschlichen Einfluss in einem bestimmten Gebiet vorkommen. Als Zeithorizont dient hier die letzte Eiszeit.
Im wissenschaftlichen Naturschutz gibt es keine einheitliche Definition, ab wann ein Organismus „invasiv“ ist. Je nach Standpunkt wird bereits die Einführung durch den Menschen und die lokale Etablierung von Arten als „invasiv“ bezeichnet. Andere Definitionen setzen Ausbreitung und Verdrängung von Arten voraus.
Die wahrgenommene Zunahme an Neobiota mit „invasivem Charakter“ in Deutschland wird häufig in Verbindung gebracht mit dem anthropogenen (durch den Menschen) verursachten Klimawandel und der Globalisierung. Handel, Transport, Verkehr und die veränderten Temperaturen werden verantwortlich gemacht für das Auftreten von Neobiota.
Die Maßnahmen gegen Neobiota lauten: verhindern, kontrollieren und beseitigen. Den rechtlichen Rahmen dazu bieten die Biodiversitätskonvention von 1992, das Bundesnaturschutzgesetz von 2004 und die EU-Verordnung Nr. 1143/2014 aus dem Jahr 2014. Einigkeit besteht hier darin, dass überhaupt gegen „gebietsfremde Arten“, die den „einheimischen Arten“ „gefährlich“ werden, vorzugehen ist.
Eine Beurteilung über die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen soll hier gar nicht stattfinden. Aber klar dürfte sein, dass sich für Rechtsextreme mit der verwendeten Sprache ein Einfallstor ergibt. Man ersetze in dem obigen Zitat einfach die „Tier- und Pflanzenarten“ durch „das deutsche Volk“. Plötzlich befinden wir uns in Untergangsszenarien von dem „invasiven Einwanderer“ und den „Fremdlingen“, die für das Aussterben der „Deutschen“ sorgen würden. Als Maßnahmen werden „Ausrottung und Bekämpfung der Plagen“ vorgeschlagen. Das lässt sich eins zu eins auf migrationsfeindliche Forderungen übertragen. Mit dankbarer Hilfestellung des Fachvokabulars im Naturschutz können Rechtsextreme also ihre menschenverachtende Vorstellung von „Blut und Boden“, der natürlichen Verbindung von Menschen und Arten an bestimmte Regionen begründen.
Was lässt sich dem entgegnen?
Da es sich bei der Debatte um Neobiota um eine Fachdebatte handelt, in der die gleichen Begriffe benutzt werden wie von Rechtsextremen, sollte vor allem in Richtung demokratischer Akteur*innen auf die Anschlussfähigkeit ihrer Sprachbilder hingewiesen werden. Grundsätzlich sollten menschengemachte Konzepte, wie das der „heimischen“ und „gebietsfremden“ Arten, regelmäßig und basierend auf derzeitigen Entwicklungen (wie zum Beispiel dem Klimawandel) und vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Stets muss sichergestellt werden, dass der Diskurs über „gebietsfremde“ Arten nicht auf einer ökologisch kaum zu rechtfertigenden Hierarchisierung „heimischer“ gegenüber „gebietsfremder“ Arten basiert. Es muss zudem sichergestellt werden, dass Natur im Zusammenhang mit der Debatte um Neobiota nicht als Projektionsfläche dient.
Gegenüber Rechtsextremen lässt sich entgegnen, dass sich die Neobiota-Debatte trotz gleicher Sprache nicht auf Menschen übertragen lässt und es keine verschiedenen „Arten“ von Menschen gibt, die aufgrund des Zuzugs einer anderen „Art“ auszusterben drohen. Es handelt sich schlicht um rassistische Denkmuster, die mit Argumenten aus dem Naturschutz legitimiert werden. Ein demokratischer Naturschutz erweitert seinen Blick: In der Regel sind Neobiota nicht die Ursache von Problemen, sondern vielmehr Symptom aktueller und/oder langfristiger Entwicklungen – wie zum Beispiel der zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft und den damit zusammenhängenden Stickstoffeinträgen in Böden, dem Vorhandensein von Monokulturen, der weltweit zunehmenden Mobilität von Waren, Menschen und Wissen und dem anthropogen verursachten Klimawandel. Ein demokratischer Naturschutz erkennt zudem an, dass die Landschaften, die wir in Europa vorfinden, größtenteils keine Wildnis darstellen, sondern durch menschliche Aktivitäten hervorgebracht wurden. Es handelt sich also eher um Kulturlandschaften, die natürlich dennoch schützens- und erhaltenswert sein können.
„Welches Tempo an Veränderung Menschen und Natur vertragen, welchen Wert Eigenart, Besonderheit und Vielfalt haben – im natürlichen wie im kulturellen Raum –, das sind Fragen, über die explizit diskutiert werden sollte. In der Debatte über Neophyten tauchen mögliche Positionen dazu allenfalls implizit auf. Für die Verwirklichung und konkrete Ausgestaltung naturschützerischer Ziele wäre es freilich wesentlich zentraler, diese ‚nicht thematisierten Voraussetzungen‘ zu diskutieren als die Frage, wie viele fremde Arten die heimische Natur verträgt.“
Uta Eser, Umweltethikerin, 2004, in „Projektionsfläche Natur. Zum Zusammenhang von Naturbildern und gesellschaftlichen Verhältnissen“
Der Artikel ist Teil des Leitfadens "Wenn Rechtsextreme von Naturschutz reden – Argumente und Mythen".