03.03.2021 | Grün und rechts – das sind exakte Gegensätze. Vom Parteienspektrum aus gedacht stimmt das auch. Die Grünen sind eine ökologische Partei, die sich selbst aber klar links positioniert und für eine liberale und menschenrechtszentrierte Gesellschaft eintritt. Verlässt man den Blickwinkel auf Parteienpolitik, so wird die Sache komplizierter. Denn Umweltschutz und Rechtsextremismus sowie Faschismus schließen sich keineswegs aus. Umweltschutz ist nicht per se progressiv. Umweltschutz ist nicht per se menschenfreundlich gedacht. Dass dem aktuell aber so ist, ist ein Verdienst der verschiedenen linken und progressiven ökologischen Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte. Von rechter Seite wird jedoch versucht, das Thema zurückzuholen und mit völkischen und menschenverachtenden Ideologemen zu vermengen. Besonders augenscheinlich ist das bei einem Blick auf die Corona-Leugner*innen-Szene. Neben Verschwörungsideologien, bekannten organisierten rechtsextremen Kreisen und gewaltbereiten Neonazis tauchen dort auch Personen mit dezidiert ökologischen Anliegen auf. Bei der Erstürmung des Capitols am 6. Januar 2021 in Washington D.C. wiederum wurde der sich selbst als Schamane bezeichnende Jacob Chansely (Jake Angeli) zum Symbol einer ganzen Bewegung. Nicht zuletzt, weil er nach seiner Festnahme auf veganem und biologischem Essen im Gefängnis bestand.
Umwelt vs. Mensch
„It’s the birthrates, it’s the birthrates, it’s the birthrates.“ So fängt das Manifest des Attentäters von Christchurch, Neuseeland, an. Er hat es geschrieben, veröffentlicht und dann Waffen zur Hand genommen, um 51 Menschen in zwei Moscheen zu ermorden und weitere 50, teilweise schwer, zu verletzen. Das war im März 2019. Das Besondere an dieser Tat und an diesem Manifest: Es ist stark ökofaschistisch geprägt. „Ökofaschismus“ hat im deutschsprachigen Raum oft einen abwertenden Klang für die ökologische Bewegung, also, als seien Ökolog*innen die ‚wahren‘ Faschist*innen etwa mit ihrem Kampf gegen fossile Energien und die damit verbundenen Konzerne. In seiner englischen Entsprechung „Ecofascism“ ist damit jedoch eine Spielart des Neofaschismus gemeint. Diese Art des Neofaschismus begründet die eigene Menschenverachtung mit einer Liebe zur Natur. Der moderne Mensch und die Natur werden als Gegensatzpaar gesehen und beschrieben, das nicht in Einklang leben kann. Der Fortschritt des Menschen geht zu Lasten der Natur und der Erhalt der Natur ist an die Dezimierung der Menschen geknüpft. In diesem Denken wird die Natur zu einem mythischen Eigenwesen verklärt. In dieser Weltsicht besteht die natürliche Ordnung darin, dass jedes Lebewesen und damit auch der Mensch einen fest zugewiesenen Ort hat. Ökofaschist*innen argumentieren so gegen Migration und die ‚Vermischung‘ verschiedener Kulturen. Dieses Blut-und-Boden-Denken war schon zentral für den ‚Reichsernährungsminister‘ des ‚Dritten Reiches‘, Walter Darré, der das Ziel hatte, in Deutschland vorindustrielle Verhältnisse wiederherzustellen und menschlichen Nachwuchs nach völkischen Zuchtprinzipien zu steuern. Als zentrales Problem werden im modernen Ökofaschismus die Geburtenraten ärmerer, speziell afrikanischer und asiatischer, Länder ausgemacht. Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit haben ebenfalls einen Fokus auf dieses Thema. Der Unterschied ist, dass diese dem Thema unter anderem mit Bildung, Sexualaufklärung und Gesundheitsversorgung begegnen.
Im Ökofaschismus vermischt sich der Umweltgedanke mit Menschenhass und die hohen Geburtenraten werden zu einem ökologischen wie völkischen Problem. Schuld sind in dieser Deutung die Frauen, die zu viele (völkisch nicht wünschenswerte) Kinder bekommen und so die Umwelt zerstören. Zur inhärenten Menschenverachtung kommt also ein spezieller Hass auf (schwangere und gebärende) Frauen beziehungsweise Mütter sowie Kinder. Sie werden zu einem Übel, das beseitigt werden muss. In dieser Sichtweise sind sie nicht die vulnerabelsten Mitglieder einer Gesellschaft, sondern stehen an vorderster Front in einem Krieg gegen die Natur und die westliche Welt. Das ist ein Komplementärgedanke zu anderen neofaschistischen Deutungen, die sich im Speziellen vor den jungen, virilen Männern, etwa in der sogenannten Flüchtlingskrise, fürchten. Der Terrorist von Christchurch sah sich selbst nicht nur als Kämpfer gegen einen vermeintlichen „großen Austausch“, sondern auch als aktiven Umweltschützer.
2007 erschoss ein 18-jähriger Schüler im finnischen Tuusula in seiner Schule acht Menschen und verletzte eine weitere Person. In seinem Manifest „The Natural Selector’s Manifesto“ forderte der Täter einen ‚totalen Krieg gegen die Menschheit‘, da diese eine Bedrohung für andere Spezies darstellen würde. Beeinflusst war er von seinem Landsmann Pentti Linkola (1932–2020), einem bekannten Ökofaschisten, der eine drastische Reduzierung der Bevölkerung forderte und Demokratie sowie Menschenrechte ablehnte. Die einzige englischsprachige Übersetzung eines seiner Bücher erschien unter dem Titel „Can life prevail?“ im neurechten Arktos Verlag. Nach seinem Tod kondolierten Minister*innen der finnischen Grünen und würdigten seine Arbeit. Umweltminister Pekka Haavisto: „Er war weder sehr sozial noch liebte er die Menschenrechte oder verteidigte diese. Vielmehr sah er den Menschen als Belastung für die Erde, und natürlich gab es auch Linienunterschiede.“ Haavisto betont, dass es jedoch immer einen Konsens in Naturschutzfragen gab. „Ich denke, er hinterlässt das Erbe, dass jeder etwas für den Naturschutz tun kann.“[1] Freundliche Worte fand auch Martin Lichtmesz in einem Artikel in der Sezession, dem zentralen Ideologie-Organ der deutschsprachigen Neuen Rechten in seinem Nachruf auf Linkola. Linkola zustimmend kommt Lichtmesz zu einem Fazit, in dem er selbst Massenmord insinuiert: „Wenn es nun aber wirklich einen Zusammenhang zwischen Erderwärmung und Überbevölkerung gibt, und eine große globale Katastrophe durch diese Erderwärmung bevorsteht, dann wäre eine präventive drastische Reduktion der Bevölkerung (und nicht bloß des Bevölkerungswachstums) ein durchaus logischer Schritt.“[2] In seinem letzten Interview sagte Linkola selbst über das Corona-Virus: „Das Corona-Virus kann die Zerstörung der Erde etwas verlangsamen, aber sobald es entmutigt wurde, wird die gleiche Lebensweise fortgesetzt. Solange wirtschaftlicher Fortschritt und Entwicklung wichtige menschliche Ziele sind, geht die Rettung des Planeten verloren.“[3]
In Zeiten der Pandemie flackerte diese Ideologie auch immer wieder im deutschsprachigen Raum auf. „Wir sind das Virus“ wurde da gemeinhin als Beleg geraunt. Die Natur würde sich mit dem Corona-Virus gegen das ‚Virus Mensch‘ wehren und das sei eigentlich etwas Gutes. Dahinter steht nicht nur ein mythisches und ideelles Bild von Natur, sondern auch Sozialdarwinismus. Die implizite Forderung nach „weniger Menschen“ betrifft in einer Pandemie (und auch sonst) nicht alle Menschen gleichermaßen. Die Forderung nach der „Flurbereinigung“, die so pathetisch mit einem Wehren der Natur aufgeladen wird, betrifft vor allem Angehörige der sogenannten Risikogruppen. Das sind ältere Menschen, aber auch Menschen mit schweren Grunderkrankungen. Hinzukommen soziale Faktoren, wie Expositionsrisiko, etwa bei Supermarktangestellten oder medizinischem Personal. Oder Klassenfaktoren, denn ärmere Menschen haben einen schlechteren Grundzustand und weniger Möglichkeiten zu Vorsorge und Prävention. In einer Pandemie sind sie also gefährdeter. Das betrifft wiederum in größerem Umfang Migrant*innen, da diese stärker armutsbetroffen sind. Der Wunsch nach Flurbereinigung ist also nicht nur pubertärer Weltschmerz, sondern knallharter Sozialdarwinismus. Es ist der Wunsch des Sterbens der Alten, der Kranken, der Armen, der Migrant*innen, der Anderen.
Die Alten und Schwachen
Sozialdarwinismus ist ein Kernideologem rechtsextremer Ideologie. Rechtsextremismus setzt die Stärksten zentral. Sie dürfen nicht behindert und verlangsamt werden von jenen, die nicht stark genug sind. Stärke ist in diesem Denken synonym mit körperlicher Stärke. „Jung“ und „stark“ bilden dabei ein Komplementärpaar, das gegen „alt“, „schwach“, „krank“ und „behindert“ gesetzt wird. Körperliche Stärke ist nicht nur ein individueller Vorteil, sondern trägt im Gesamten zum „Volkskörper“ bei. Schwache Elemente dieses Volkskörpers schwächen diesen und müssen dementsprechend ausgesondert werden. Dazu gehören nicht nur medizinische Kategorisierungen, sondern dezidiert auch kulturelle. So wird Antisemitismus verbiologisiert und Juden und Jüdinnen zu einem biologischen Makel, da sie körperlich schwach seien und eben den Volkskörper schwächen würden.
Sozialdarwinismus ist also immer auch inhärent anschlussfähig für Antisemitismus und Rassismus. Ökofaschismus ist eine sozialdarwinistische Ideologie, die ihre Ratio aus dem vermeintlichen Willen einer anthromorphisierten oder vergöttlichten Natur zieht. Eine Pandemie ist nicht per se ein Unglück, sondern eine Strafe für eine dekadente, verweichlichte Gesellschaft, die wider die Natur lebt. Wider die Natur ist hier im direkten Sinne gemeint, also ausbeuterisch und zerstörerisch und gleichzeitig wird auch ein vermeintlicher natürlicher Wille imaginiert. Dieser beinhaltet die heterosexuelle Kernfamilie und völkisch wünschenswerte Kinder. Im Gegensatz dazu werden zum Beispiel Homosexualität und Transpersonen als im biologistischen Sinne „gegen die Natur“ gesehen und somit als Schwächung eines auf Natürlichkeit aufgebauten Ganzen.
Fazit
Es ist wichtig, diese ökofaschistischen Phänomene zu erkennen und zu dechiffrieren, auch weil anzunehmen ist, dass diese mit Fortschreiten der Klimakrise immer stärker auch im deutschsprachigen Raum anzutreffen sein werden. Ihre Anhänger*innen können sich oberflächlich als Verbündete präsentieren und an große Klimaschutzbewegungen anhängen wollen. Eine klare antifaschistische Haltung muss für den Klima- und Umweltschutz nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sondern ist vielmehr eine praktische Notwendigkeit.
Natascha Strobl
Politikwissenschaftlerin, Autorin, Analystin, Publizistin
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[1] Übersetzt mit google translate aus dem Finnischen: yle.fi/uutiset/3-11293151
[2] sezession.de/62454/in-memoriam-pentti-linkola-1932-2020
[3] Ebd.