Die Klimakrise ist ungerecht. Bevor wir einen genaueren Blick auf das Thema Klimagerechtigkeit werfen, macht es Sinn, sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, warum das so ist. Inzwischen ist klar: Beim Klimawandel geht es um viel mehr, als um schmelzende Polarkappen und Eisbären. Der Klimawandel ist keine reine Umweltkrise, vielmehr ist er wesentlicher Bestandteil der globalen Gerechtigkeitskrise. Der Klimawandel ist Ursache für soziale Ungerechtigkeit, er verschärft bestehende Ungleichheiten und es leiden am meisten diejenigen unter seinen Folgen, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Dies sind vor allem Menschen im globalen Süden [1], arme oder auch anderweitig benachteiligte Bevölkerungsgruppen.
Der materielle Wohlstand der Gesellschaften in den reichen Industrienationen wie in den USA oder auch Deutschland basiert in erster Linie auf dem Verbrennen fossiler Energien. Die Geschichte der Industrialisierung ist eng verwoben mit den technologischen Errungenschaften, die allesamt durch das Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle, später auch Öl und Gas, betrieben wurden. Die mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Industrieländer einhergehenden ansteigenden Treibhausgasemissionen sind nachweislich Antreiber des Klimawandels. Der Weltklimarat, ein unabhängiger zwischenstaatlicher Ausschuss, der wissenschaftliche Erkenntnisse über die Klimaveränderungen zusammenträgt, beschreibt in seinem vierten Sachstandsbericht von 2007 eindrücklich den Zusammenhang zwischen menschlichem Handeln und der globalen Klimaerwärmung seit 1750.
Diese Verschränkung der Emission von Treibhausgasen mit dem ungebrochenen Glauben an ein permanentes Wirtschaftswachstum ist also die Hauptursache für die heutige Klimakrise. Während Länder im globalen Norden durch die Industrialisierung vor allem und bis heute profitieren, sind es vor allem Länder im globalen Süden wie Bangladesch, die Philippinen, Senegal, Mosambik, die die Folgen der Klimakrise zu spüren bekommen. Die Industrienationen tragen folglich eine historisch begründete ökologische Schuld. Deren wie auch immer geartete Begleichung ist – neben vielen anderen – eine der zentralen Forderungen nach globaler Klimagerechtigkeit.
Klimakrise und Unterdrückung
Während es den Regierungen der reichen Länder aufgrund ihrer ökonomischen Ressourcen und der ihnen zur Verfügung stehenden technologischen Kenntnisse und Möglichkeiten jetzt und auch in Zukunft eher möglich ist, sich an die Klimakrise anzupassen und die eigene Bevölkerung vor den katastrophalen Auswirkungen zu schützen, können ähnliche klimatische Veränderungen für ärmere Staaten viel größere Herausforderungen bedeuten. Dazu zählen nicht nur fehlende finanzielle Voraussetzungen, sondern auch ungerechte Zugangsmöglichkeiten zu notwendiger Technologie, fehlende Sicherungssysteme und ein Mangel an administrativen Voraussetzungen. Die Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeiten durch den Klimawandel findet folglich ihren Widerhall im globalen Machtgefüge (globaler Norden vs. globaler Süden) [1], in der Fortschreibung kolonialer, rassistischer Unterwerfungslogiken gepaart mit neoliberalen Wirtschaftsmodellen.
Aber auch im globalen Norden sind es meist ärmere, unter schwierigen sozioökonomischen Bedingungen lebende Menschen, die besonders hart von den Auswirkungen getroffen werden. Beispielhaft hierfür ist der Hurrikan Katrina in New Orleans. Die vorwiegend schwarze Bevölkerung der Stadt wurde durch die US-amerikanischen Behörden im Stich gelassen und mehr oder weniger schutzlos dem Wüten des Unwetters überlassen. Studien aus den USA zeigen, dass es vor allem schwarze und LatinX-Communities [2] sind, die es nach Naturkatastrophen am schwersten haben, wieder finanziell und sozial auf die Beine zu kommen (www.greenamerica.org/climate-justice-all/people-color-are-front-lines-climate-crisis). Als besonders absurd, aber leider aus einer rein profitbestimmten Betrachtung heraus logisch, erscheint die Tatsache, dass in New Orleans nach Hurrikan Katrina die Immobilienpreise in die Höhe schnellten, weil mit den in Folge der Zerstörungen leerstehenden Immobilien und Grundstücken spekuliert wurde, während ehemalige Bewohner*innen nicht zurückkehren durften.
Die Klimakrise kommt selten allein
Die Auswirkungen der Klimakrise sind oft gepaart mit anderen Umweltzerstörungen und sozialen oder politischen Ungerechtigkeiten. Ein Beispiel dafür ist der Taifun Mangkut, der im Jahr 2018 über die Philippinen fegte. Zunächst bestand für einen Tag die Hoffnung, dass diesmal nicht allzu viele Menschen umgekommen seien. Kurz darauf musste die Todeszahl auf den Philippinen nach oben korrigiert werden. Denn viele Menschen starben durch einen von dem Taifun ausgelösten Erdrutsch. Der Erdrutsch wiederum ereignete sich im direkten Umfeld einer Mine, die eigentlich bereits geschlossen werden sollte. Die Profitinteressen des Minenbetreibers und seiner politischen Schützer setzten sich aber durch, sodass die Mine weiterbetrieben wurde und die Arbeiter*innen gezwungen waren, unter schlechten Bedingen weiterzuarbeiten – was viele dann das Leben kostete.
Auch bei der Erreichung von Gleichberechtigung stellt der Klimawandel eine weitere Hürde dar – sprich die Klimakrise ist nicht gender-neutral. Zum einen ist der ökologische Fußabdruck von Männern größer als der von Frauen, darüber hinaus sind Frauen* auch noch stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen. Die Gründe sind vielfältig. Wichtig anzumerken ist, dass dahinter die patriarchale Struktur von Gesellschaften steht. Beispielsweise liegen Pflege und Sorgearbeit in der Mehrzahl in den Händen von Frauen. Dadurch sind sie oftmals von Informationskanälen abgeschnitten, was zum Beispiel dazu führen kann, dass Katastrophenwarnungen bei ihnen viel später ankommen. Ein Beispiel dafür ist der Zyklon Sidre in Bangladesch im Jahr 2007. 80 Prozent der Opfer waren Frauen und Mädchen. Katastrophenschutzmaßnahmen werden oftmals an den besonderen Bedürfnissen von Frauen, LGBTIQ*, Kindern oder Menschen mit Behinderung vorbeigeplant, so dass diese potentiell am stärksten gefährdet sind, beziehungsweise Klimaschutzmaßnahmen zur Durchsetzung repressiver Praxen führen. So wurde in Folge des Taifuns Hayan auf den Philippinen eine Transperson gezwungen, ihre inzwischen abgelegte Identität wieder anzunehmen, um Hilfeleistungen in Anspruch nehmen zu können.
Regierungen und internationale Verhandlungen versagen
Beobachtet man die internationalen Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen, so entsteht leider der Eindruck, das Hauptanliegen der Vertreter*innen der Industrieländer sei, möglichst alles dafür zu tun, dass sie wenig finanzielle Leistungen für das Klima auf den Tisch packen müssen. Eigene Klimaschutzziele werden ohne mit der Wimper zu zucken verfehlt. So verkündete beispielsweise die Bundesregierung Anfang 2019, dass man es nicht schaffen werde, die Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Aus der Perspektive der Länder, deren Küsten vom permanent steigenden Meeresspiegel bedroht sind, kann so eine verfehlte Klimapolitik eigentlich nur als gewollte Ignoranz oder Zynismus gedeutet werden.
Was wir hier sehen sind Konflikte, die auf den Fehler im System hindeuten: Nämlich dass die Regierungen von Industrieländern mit einflussreichen Konzernen entscheiden, wessen Interessen in der Klimakrise geschützt werden. Die von ihnen in mehr als 25 Jahren internationaler Klimaverhandlungen präsentierten Lösungen haben bisher leider nur zu kosmetischen Korrekturen geführt Die Umsetzung der notwendigen sozial-ökologischen Transformation ist nicht erkennbar. Genau an dieser Stelle setzt die Forderung nach Klimagerechtigkeit an: System Change not Climate Change!
Umwelt- und Klimagerechtigkeit
Die Forderung nach Klimagerechtigkeit wird in der Tradition der aus den USA stammenden Umweltgerechtigkeitsbewegung gesehen und tauchte ca. Ende der 90er Jahre das erste Mal auf. Schon die Umweltgerechtigkeitsbewegung forderte, dass Umweltschutz auch als Frage von sozialer Gerechtigkeit begriffen wird. Als dreckige Industrien aus den Städten weichen mussten, da die umwelt- und gesundheitsbewussten Durchschnittsverdiener*innen politischen Druck machten, wanderten diese Industrien oftmals in Gebiete mit Geringverdienenden und migrantischen oder schwarzen Communities ab, die dann aufgrund ihres zumeist geringen politischen Einflusses die Verschmutzung ertragen mussten. Gleichzeitig waren es oftmals genau diese Menschen, die ihre Jobs aufgrund von technologischen Fortschritten in der Industrie verloren, ohne alternative Angebote zu bekommen.
Politisierung des Klimawandels
Die Notwendigkeit der Politisierung des Klimawandels bekam ein internationales Gesicht, als im Vorfeld des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung 2002 von progressiven Organisationen die „Bali Principles of Climate Justice“ verabschiedet wurden. Das zentrale Moment dieses Klimagerechtigkeitsmanifestes ist die Verknüpfung des Klimawandels mit Fragen von Menschenrechten und Umweltgerechtigkeit.
Seither ist die Forderung nach Klimagerechtigkeit für viele soziale Bewegungen ins Zentrum gerückt. Der globale Charakter der Klimakrise verlangt lokale und globale Reaktionen, Widerstände und Aktivitäten. Er verlangt eine grundlegende Kritik am kapitalistischen Wirtschaftsmodell, das mit seinem Wachstumsmantra als Hauptursache der Klimakrise betrachtet werden muss. Um eine globale Artikulationsplattform zu haben, gründete sich im Jahr 2007 in Bali das internationale Netzwerk „Climate Justice Now!’“ während der 14. Runde der Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen, um den Forderungen nach Klimagerechtigkeit innerhalb der Verhandlungen mehr Gehör zu verschaffen. Für die Klimaverhandlungen in Kopenhagen im Jahr 2009 wurde die Forderung nach Klimagerechtigkeit zur zentralen Mobilisierungsforderung der Bewegungen, die den Regierungen deren verfehlte Klimapolitik in Anbetracht der Klimakrise vorwarfen und deren Verhandlungen in erster Linie als den Interessen der reichen Industrieländer und kapitalistischen Wirtschaftsinteressen dienend verurteilten. Lokale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse in vielen Ländern berufen sich inzwischen auf die Forderung nach Klimagerechtigkeit, so zum Beispiel auch Ende Gelände, wenn Kohlebagger besetzt werden.
Klimagerechtigkeit als globale Erzählung
Der Kampf um Klimagerechtigkeit schafft es, für viele lokale und regionale Kämpfe eine gemeinsame Erzählung auf globaler Ebene herzustellen. Lokale Ungerechtigkeiten können in globale Zusammenhänge übersetzt werden. Die Forderung nach Klimagerechtigkeit bringt verschiedenste Forderungen zusammen, die es schaffen, eine Alternative zum Kapitalismus zu bauen.
Weiterlesen
International Climate Justice Network (2002): Bali Principles of Climate Justice (online abrufbar unter https://corpwatch.org/article/bali-principles-climate-justice).
Richards, Julie-Anne (2018): Climate and Gender Justice. What‘s needed to finance loss and damage? Rosa Luxemburg Stiftung (online abrufbar unter www.rosalux.de/en/publication/id/39802/climate-andgender-Justice).
Rosa Luxemburg Stiftung (Hrsg.): Dossier Klimagerechtigkeit (online abrufbar unter www.rosalux.de/dossiers/klimagerechtigkeit).
Schumacher, Juliane (2016): Klimaschäden. Die Welt geht unter und niemand will bezahlen. Zweite, überarb. Aufl. der Analyse Nr. 29 „Loss and Damage!“. Rosa Luxemburg Stiftung (online abrufbar unter www.rosalux.de/publikation/id/9184/klimaschaeden).
Schumacher, Juliane (2018): Ungerechtigkeit im Treibhaus. Klimawandel von links erklärt. Rosa Luxemburg Stiftung (online abrufbar unter www.rosalux.de/publikation/id/39393/ungerechtigkeit-imtreibhaus-1).
Nadja Charaby
Die Autorin ist Referentin für internationale Klimapolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie nimmt seit mehreren Jahren an den Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen teil und beteiligt sich zusammen mit anderen Organisationen an deren kritischer Beobachtung und Analyse. Nadja arbeitet seit mehr als zehn Jahren mit vielen Akteur*innen aus dem globalen Süden zusammen und engagiert sich für internationale Solidarität.Der Artikel ist Teil der Broschüre Love Nature. Not Fascism. Demokratischen Umwelt- und Naturschutz gestalten.
[1] Globaler Norden, globaler Süden: Der globale Süden beschreibt eine im Vergleich politisch und ökonomisch benachteiligte Position, wohingegen der globale Norden eine mit Privilegien verbundene Position auf der Welt beschreibt. Die Unterscheidung geht unter anderem auf verschiedene Erfahrungen mit dem Kolonialismus und der damit verbundenen Ausbeutung des Südens durch den Norden zurück.
[2] Die Bezeichnung LatinX ist eine gender-neutrale Alternative zu Latino und Latina*.