5.12.2024
Innerhalb der Tierbewegung existieren vielfältige Organisationen. Tierschützer*innen engagieren sich beispielsweise für bessere Haltungsbedingungen sogenannter Nutztiere oder ein Wildtierverbot im Zirkus. Tierrechtsaktivist*innen kämpfen für die Beendigung der Tierhaltung insgesamt und fordern grundlegende Rechte für Tiere wie das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit. Ganz rechts außen stehen Neonazi-Gruppen, die „Tierschutz als Heimatschutz“ proklamieren und an eine lange Tradition rassistischer und antisemitischer Tierschützer*innen seit dem 19. Jahrhundert anknüpfen. Denn Tierschutz (ebenso wie Umwelt- und Naturschutz) ist nicht per se politisch links oder liberal. Dieser Text skizziert in groben Zügen die Geschichte der deutschen Tierbewegung und untersucht anhand der Organisation Anonymous for the Voiceless rechtsoffene Strukturen innerhalb der heutigen Tierrechtsszene.
Frühe Wegmarken des deutschen Tierschutzes
„Ich habe nur noch anzuführen, daß wie verläßlich versichert wird […], in den Konservenfabriken in Haselhorst, und ich glaube, auch in Mainz, die Thiere nicht auf deutsche Weise vom Leben zum Tode befördert werden, sondern sammt und sonders durch das Verfahren der Schächtung geschlachtet werden.“
Paul Förster in einer Rede vor dem Deutschen Reichstag im Februar 1897, Vorsitzender des Internationalen Vereins zur Bekämpfung der wissenschaftlichen Thierfolter
Seit dem 19. Jahrhundert entstanden in verschiedenen Ländern Europas Tierschutzvereine. Der erste Tierschutzverein der Welt war die „Society for the Prevention of Cruelty to Animals“, die sich 1824 in England gründete. Als erster deutscher Verein (und zweiter weltweit) entstand 1837 in Stuttgart der Vaterländische Verein zur Verhütung von Tierquälerei. Dessen Begründer, der Pfarrer Albert Knapp, appellierte an das christliche Mitgefühl und verwies darauf, dass die brutale Behandlung von Tieren zu einer Verrohung der menschlichen Gesellschaft führe. Wer Tiere quäle, sei für eine „bessere Gesittung unempfänglich und für weitere Schandtaten reif"1 Gleichzeitig wandten sich große Teile des konservativen deutschen Bürgertums gegen die moderne Industriegesellschaft und einen angeblichen Verfall der Sitten in den rasch wachsenden Städten.
„Jüdische Thierquälereien“
In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs kamen neben moralischen Bedenken verstärkt politische Motive in der Tierschutzdebatte zum Tragen. Man wollte sich insbesondere von der mit dem „Erzfeind“ Frankreich assoziierten Aufklärung und dem ihr zugrunde liegenden Vernunftglauben abgrenzen. Eine völkische und antisemitische Weltanschauung prägte den deutschen Tierschutz nun deutlich. Das Schächten (rituelles, betäubungsloses Schlachten) und die Vivisektion (Operation an einem lebenden Tier zu Versuchszwecken) verunglimpfte etwa der Vorsitzende des Internationalen Vereins zur Bekämpfung der wissenschaftlichen Thierfolter, Paul Förster, als „jüdische Thierquälereien“ (zit. nach Röpke/Speit 2019)). Das entsprang der antisemitischen Überzeugung, es gebe eine angeblich unnatürliche und unmenschliche „jüdische“ Wissenschaft. Der universitären („jüdischen“) Medizin stellte Förster die Naturheilkunde als „deutsche“ Wissenschaft entgegen.
Seine Kritik an der Moderne verband Förster mit einer Kritik am Fleischessen, an Tierversuchen und an Impfungen. Letztere würden den „nie rastende[n] Kampf ums Dasein“ (Förster 1896, S. 55) verzerren: „Minderwertige“ würden nicht mehr auf natürliche Weise ausgemerzt, sondern würden den „Volkskörper“ verkümmern lassen. Förster war gut vernetzt und Mitglied zahlreicher Vereine; eine führende Position hatte er auch beim einflussreichen völkischen Alldeutschen Verband inne. Der Antisemit wollte das „Urdeutsche“ von allem „Artfremden“ befreien (vgl. Röpke/Speit 2019, S. 56).
An Försters Vorgänger, Ernst von Walter, zeigt sich, dass nicht nur Antisemitismus in der damaligen Tierschutzdebatte relevant war, sondern auch andere menschenverachtende Einstellungen präsent waren: Von Walter plädierte dafür, Schwarze anstatt von Tieren für Experimente zu verwenden, da sie minderwertige Menschen wären.
Tierschutz im Nationalsozialismus
„Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird. Wir werden niemals roh und herzlos sein, wo es nicht sein muss; das ist klar. Wir Deutsche, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung annehmen.“
Heinrich Himmler in seiner Posener Rede im Jahr 1943
Der völkisch-antisemitische Geist setzte sich in der Zeit des Nationalsozialismus nahtlos fort und radikalisierte sich zunehmend. Bereits am 1. Mai 1933 trat das „Gesetz über das Schlachten von Tieren“ in Kraft. „Warmblütige Tiere sind beim Schlachten vor Beginn der Blutentziehung zu betäuben“, heißt es darin. De facto war damit das rituelle Schächten als Praxis der jüdischen (und muslimischen) Speisevorschriften verboten, da es zu dieser Zeit kein von den Rabbinern bzw. Imamen anerkanntes Betäubungsverfahren gab.
Dieses „Gesetz ist ein entscheidender Bestandteil der nationalsozialistischen ‚Judenpolitik‘ und einer der ersten Einschnitte in das Alltagsleben der deutschen Juden“, konstatiert der Historiker Jan Mohnhaupt (Mohnhaupt 2020, S. 74). Der Autor weist darauf hin, dass es eine großzügige Ausnahme gab: Zehntausende muslimische Söldner kämpften auf dem Balkan und in Osteuropa für Nazi-Deutschland. Ab 1943 war es ihnen erlaubt, das rituelle Schlachten ohne Betäubung durchzuführen. Für den Kriegserfolg stellten die Nazis ihre Anti-Schächt-Propaganda zurück.
Auch Tierversuche fanden – entgegen der Propaganda gegen Vivisektion – unter dem NS-Regime weiterhin statt, etwa um biologische Kampfstoffe zu testen. Hinzu kamen etliche (oft tödliche) medizinische Versuche an Gefangenen in Konzentrationslagern (Klee 1997).
Die Idee einer besonderen Verbundenheit des deutschen Volkes zu Tier und Natur lebt heutzutage in Kreisen rechter Ökos fort. Mit Rückgriff auf „die Natur“ und „natürliche“ Verhaltensweisen konstruieren sie bestimmte Tätigkeiten und Eigenschaften als „männlich“ bzw. „weiblich“. Gesellschaftliche Widersprüche sowie soziale und wirtschaftliche Ungleichheit lösen sich in der imaginierten Einheit von Volk und Raum oberflächlich auf.
Das Konzept des Antispeziesismus und seine menschenfeindlichen Implikationen
„Ist ein Wesen nicht in der Lage zu leiden oder Freude beziehungsweise Glück zu erfahren, dann gibt es auch nichts zu berücksichtigen.“
Peter Singer: Animal Liberation
Im politischen Veganismus2 und in der Tierrechtsdebatte ist das Begriffspaar Speziesismus/Antispeziesismus zentral. Speziesismus bedeutet, andere Lebewesen willkürlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art zu diskriminieren, also etwa in Europa Schweine zu essen, Hunde jedoch nicht. Der australische Moralphilosoph Peter Singer hat beide Begriffe in der Tierrechtsszene etabliert.
Antispeziesismus heißt für Singer, dass alle mit einem Bewusstsein ausgestatteten Lebewesen unabhängig von ihrer Spezies als gleich anzusehen seien. Allerdings unterscheidet er selbst willkürlich zwischen Personen und sogenannten Nicht-Personen. Unter Personen fallen laut Singer geistig und körperlich „gesunde“, „normale“ Menschen, aber auch Hunde und Schimpansen. Nicht-Personen sind für ihn Vögel und Fische, Kleinkinder und geistig behinderte Menschen. Der Philosophieprofessor schreibt in seinem Hauptwerk, der Praktischen Ethik, es gebe „starke Gründe“ dafür, „das Leben von Personen über das von Nichtpersonen zu stellen“ (Singer 1984, S. 135). Daraus folge, dass „die Tötung eines Schimpansen schlimmer ist als die Tötung eines schwer geistesgestörten Menschen, der keine Person ist“. Damit stellt Singer den Wert menschlichen Lebens an sich radikal infrage. Nicht alle Tierrechtsaktivist*innen beziehen sich positiv auf Singer, doch viele übernehmen sein Konzept des Antispeziesismus. So taucht der Begriff auf T-Shirts und Buttons auf („Antispeziesistische Aktion“), es existieren Gruppen wie die Antispeziesistische Aktion Tübingen („Antispe Tübingen“) und wichtige Köpfe der Bewegung wie die Philosophin Hilal Sezgin und der Schauspieler Joaquin Phoenix streiten explizit gegen Speziesismus.
Menschenfeindlichkeit in der Tierbewegung des 21. Jahrhunderts
Auch im 21. Jahrhundert tragen Teile der Tierbewegung menschenfeindliches Gedankengut weiter. Ein bedeutendes Element des Antisemitismus nach 1945 ist die Relativierung des Mordes an sechs Millionen jüdischen Menschen. Bernhard Grzimek prägte in den 1970er Jahren den Begriff „Hühner-KZ“, in dessen Folge in der Tierbewegung auch vom „Auschwitz der Tiere“ die Rede ist, etwa auf der von Achim Stößer betriebenen Website Maqi.de. Im englischen Sprachraum ist der Ausdruck „Animal Holocaust“ gebräuchlich und wird u. a. von der internationalen Tierrechtsorganisation Peta (Kampagne „The Holocaust on your Plate“, 2003) und der australischen Künstlerin Jo Frederiks (jofrederiksart.com) verbreitet.
Die Parallelisierung verkennt die dem nazistischen Massenmord zugrundeliegende antisemitische und rassistische Ideologie, ohne die dieser nicht erklärbar ist (Postone 2005, S. 165–194). Diese Ideologie unterscheidet sich grundlegend von den wirtschaftlichen Interessen, die das massenhafte Schlachten von Tieren zur Nahrungsmittelproduktion bedingen.
Anonymous for the Voiceless
Asal Alamdari und Paul Bashir, die Anführer*innen der einflussreichen, international agierenden Tierrechtsorganisation Anonymous for the Voiceless (AV), verstehen sich als „Anwält*innen der Tiere“, bezeichnen ihre Arbeit jedoch als „unpolitisch“. Der Begriff „Animal Holocaust“ ist bei ihrem Aktivismus allgegenwärtig. Paul Bashir, der die Organisation gemeinsam mit seiner Partnerin Asal Alamdari leitet, hält ihn allein aufgrund der Zahl an getöteten Tieren für das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Bashir stuft Tiere als moralisch höherwertiger ein als Menschen, und nach seinem Willen sollten wissenschaftliche Experimente an Pädophilen statt an Tieren durchgeführt werden.*
Die Aktionsform von Anonymous for the Voiceless besteht in sogenannten „Cubes of Truth“. Dabei präsentieren Aktivist*innen auf belebten Plätzen Videos aus der Tierindustrie. Andere Aktivist*innen im sogenannten Outreach klären Passant*innen über die Zustände in den Tierfabriken auf. Jede*r kann bei diesem Straßenaktivismus mitmachen, solange er*sie sich an die Vorgaben der Organisation hält: Auftreten bei den Cubes nur in schwarzer Kleidung bzw. in AV-Montur, keine „Diskriminierung“ während der Aktivitäten auf der Straße, keine politischen Bekenntnisse. Das einzige, was die führenden Köpfe von den Aktivist*innen fordern, ist ein Bekenntnis zu einem veganen Lebensstil.
Alamdari und Bashir regieren diese Franchise-Tierrechtsorganisation streng hierarchisch; demokratische Mitbestimmung ist nicht erwünscht. Diverse Orts- und Landesgruppenvertreter*innen (Organiser*innen) von AV teilen antisemitische, rassistische oder sexistische Einstellungen bzw. verharmlosen diese.
Extrem offen nach rechts: Der „Extreme Veganer“
Einer von ihnen ist Oliver Loos, der im Netz als der „Extreme Veganer“ auftritt und laut eigener Angabe seit Januar 2019 bei AV Deutschland aktiv ist. Seit Anfang Juli 2024 ist er landesweiter Organiser für AV Deutschland. Loos betont, dass es ihm egal sei, mit wem er kämpfe, „um die größte Ungerechtigkeit der Menschheitsgeschichte zu beenden“.* Für dieses Ziel arbeite er auch mit AfD-Wähler*innen, Impfgegner*innen und Klimawandelleugner*innen zusammen.
Für Kämpfe gegen die Unterdrückung von Menschen zeigt Loos hingegen kaum Verständnis oder gar Solidarität. Opfer von Diskriminierung sollten ihr „Leben selbst auf die Reihe […] bekommen“. Wahre Opfer seien ausschließlich die Tiere. Er agiert nach dem Motto: Hauptsache, für die Tiere. Dieses Credo, das sie als Multiplikator*innen an die Mitglieder weitergeben, haben viele der Organiser*innen von AV verinnerlicht. Loos gibt offen zu, dass er auch Björn Höcke bei einer Tierrechtsdemonstration begrüßen würde, sofern dieser sich währenddessen nicht politisch äußere.
Ohne Menschenrechte keine Tierrechte
Peter Singer hat den Boden dafür bereitet, Tiere aufzuwerten, indem man Menschen abwertet. Das Beispiel Anonymous for the Voiceless zeigt, wie Antispeziesismus in der Praxis ausgelebt werden kann. Organisationen wie AV fördern antidemokratische Einstellungen und verbreiten menschenfeindliches Gedankengut. Wer wie AV universelle Menschenrechte ablehnt, delegitimiert sich selbst als „Anwält*in der Tiere“. Denn Tierrechte können nur als gesellschaftlicher Vertrag innerhalb der menschlichen Zivilisation und unter Berücksichtigung der Menschenrechte etabliert werden.
* Sämtliche Zitate in diesen Abschnitten liegen der Autorin als Screenshot bzw. Audio- oder Videosicherung vor.
Literatur:
Klee, Ernst (1997): Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt/Main.
Mohnhaupt, Jan (2020): Tiere im Nationalsozialismus. München.
Postone, Moishe (2005): „Antisemitismus und Nationalsozialismus“, in: Moishe Postone: Deutschland, die Linke und der Holocaust, Freiburg.
Röpke, Andrea / Speit, Andreas (2019): Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos, Berlin.
Quellen:
Förster, Paul (1896): Die Vivisektion vom naturwissenschaftlichen, medizinischen und sittlichen Standpunkt aus beurteilt, Berlin.
Förster, Paul (1897): Rede während der zweiten „Berathung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Etatsjahr 1897/98 […] und zwar Etat für die Verwaltung des Reichsheeres“. Stenographische Berichte 1895/97, Sitzungen Bd. 6, 175. Sitzung, S. 4670 (B), 2.2.1897.
Himmler, Heinrich: Rede des Reichsführers SS bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943.
Singer, Peter (1996): Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere, Reinbek bei Hamburg.
Singer, Peter (1984): Praktische Ethik, Stuttgart.
Zur Autorin:
Mira Landwehr hat Geschichte und Germanistik studiert und arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Zuletzt erschienen: „Die Blutfabrik. Warum Rosendünger Tierblut enthält und Zigarettenfilter auch“ (Maro-Heft 13, Maro-Verlag, Augsburg 2024)
1 https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/1706-erster-tier...
2 Sich vegan zu ernähren bedeutet tierliche Produkte wie Fleisch, Eier, Milch und Honig nicht zu sich zu nehmen. Eine vegane Lebensweise umfasst darüber hinaus weitere Bereiche des Lebens wie Kleidung und Kosmetik. Viele Veganer*innen vermeiden beispielsweise Leder, Wolle und Cremes mit tierlichen Inhaltsstoffen.