Greta Thunberg ruft uns dazu auf, „in Panik zu geraten“. Es gibt genug Grund zur Panik und dank der globalen „Fridays for Future“-Bewegung und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit können die seit langem drohenden Gefahren durch den Klimawandel nicht mehr verleugnet werden. Aber was nun? Sommerhitze, Unwetter, Dürre sind die ersten Anzeichen für stürmische Zeiten, ja, sogar für einen echten „Klima-Umbruch“ [1]. Es geht um planetare Veränderungen, es geht ums Ganze: Wie können wir uns retten?
Neoliberale und konservative Kräfte vertrauen auf technische Innovationen, nachhaltiges Wirtschaftswachstum oder machen einfach weiter wie bisher. Rechtspopulist*innen leugnen zumeist den „Klima-Umbruch“ und versuchen, diejenigen auf- und einzufangen, die sich vor Veränderungen fürchten und Angst vor Verlusten haben. Gegen die Krise helfen weder Verdrängung noch Verleugnung der Gefahren, sondern nur Ideen, die Wege komplett neu denken. Es gibt schon viele Ansätze, durch emanzipative Versuche ein „nachhaltiges“ Leben und Wirtschaften zu erreichen. Damit ist gemeint, dass wir unsere Bedürfnisse so befriedigen, dass die natürliche Regenerationsfähigkeit der beteiligten Ökosysteme nicht überlastet wird, und dies – was im Begriff der „Nachhaltigkeit“ noch nicht automatisch enthalten ist – auf eine Weise, in der wir Menschen so kooperieren, dass wir gerade aus unserer Vielfalt und Kreativität Kraft schöpfen, den Gefahren zu begegnen. Jedoch: Wenn wir aus dieser Wirtschaft aussteigen, woher bekommen wir dann das Nötigste zum Leben?
Emanzipation statt Autoritarismus
Eine Antwort darauf geben Menschen, die sich selbst um ihre Angelegenheiten kümmern, indem sie sich zusammentun und gemeinsam Kooperationsbeziehungen entwickeln, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Wie das geht, zeigen uns zum Beispiel viele sich selbst organisierende Gemeinschaften in Griechenland. Es gibt inzwischen zahlreiche Möglichkeiten, immer mehr Bedürfnisse auf andere Weise als den Umweg über die zerstörerische kapitalistische Wirtschaft zu befriedigen. So kann ich mich an einer „Solidarischen Landwirtschaft“ [2] beteiligen oder ich kann in einem Wohnprojekt des „Mietshäuser Syndikats“ [3] wohnen. Für andere Bedürfnisfelder müssen andere Lösungen gefunden werden. Die Ideen und Projekte sprießen seit längerem, auch unter der Bezeichnung „Alternative Ökonomie“. Wir müssen schauen, dass wir für immer mehr Lebensbereiche echte Alternativen zum zerstörerischen System entwickeln, die sich gegen die herrschende Wirtschaftslogik von Ausbeutung, Konkurrenz und Profitmacherei stellen.
Eine Bezeichnung für solche menschlichen Kooperationsbeziehungen ist das „Commoning“. Das englische Wort „Commons“ wird im Deutschen mit dem Wort „Allmende“ übersetzt. Es verweist auf „Gemeinsames“ – wie zum Beispiel gemeinsam benötigte Ressourcen. Solche Ressourcen waren traditionell in aller Welt üblicherweise Land, Saatgut, Wasser, aber auch Wissen und Kunst. Durch die neuen Technologien können nun beispielsweise ebenfalls Computerdaten und Software zu Commons werden. Ob sie es werden, hängt weniger von ihrer Beschaffenheit ab (ob sie stofflich oder informationell sind), sondern vielmehr von politischen Prozessen, rechtlichen Regelungen und letztlich von den sozialen Prozessen der damit umgehenden Menschen. Commoning bezeichnet den Prozess, in dem Menschen im Rahmen selbstgewählter Regelungen gemeinsam benötigte Ressourcen nutzen und pflegen – und zwar unabhängig von Eigentumsverhältnissen, Märkten und zentralen Planungen.
Wirtschaft dient dann nicht mehr der Mehr-Geld-Erwirtschaftung, sondern wirklich der Befriedigung von Bedürfnissen. Da das Bedürfnis nach einer tragfähigen und lebenswerten Mit-Welt ein wichtiges menschliches Grundbedürfnis ist, würde dies nicht mehr verleugnet und verletzt, sondern könnte endlich befriedigt werden. Vieles, was wir jetzt zu benötigen meinen, wird dann unwichtig. Haltbare, reparaturfähige, schöne Dinge würden uns umgeben, kein Wegwerf-Ausschuss. Wir würden auf den Zwang verzichten, immer mehr haben, immer schneller und immer hektischer sein zu müssen. Stattdessen könnten wir herausfinden, wie wir echte Anerkennung, Kreativität und Mitmenschlichkeit gewinnen und genießen können. Statt autoritärer Lösungen werden beim „Commoning“ selbstorganisierende, kooperierende und emanzipative Formen der Lösung von Problemen gefunden. Es gibt dabei Problemlösungsmuster wie „Gemeinsam erzeugen & nutzen“, „Das Produktionsrisiko gemeinsam tragen“ oder „Poolen, Deckeln & Aufteilen“ (Helfrich, Bollier 2019).
Beim „Poolen“ tragen zum Beispiel viele zu einem gemeinsamen Fonds bei, der dann für einen vereinbarten bestimmten Zweck verfügbar wird, beim „Deckeln“ einigen sich die Beteiligten auf ein absolutes Limit der Entnahme von Ressourcen in einem bestimmten Zeitraum und „aufgeteilt“ werden Dinge, die sich abnutzen oder weniger werden, wenn wir sie teilen, wie Lebensmittel, Werkzeuge und ähnliches.
Lokal angepasstes, durch die Menschen selbst erzeugtes und gepflegtes Saatgut bringt zum Beispiel mehr Ernährungssicherheit als die Patentierung durch Konzerne. Es geht darum, dass wir uns selbst organisieren und unsere Beziehungen und Verhältnisse verändern. Das ist etwas, was „ums Ganze“ anders ist als das, was rechte Ökologie anstrebt. Unsere Zukunft sichern können wir nur durch mehr Gemeinsamkeit, mehr Vertrauen, mehr Vielfalt, das Aufbauen von solidarischen Netzwerken – auf ökologischer wie auf menschlicher Ebene.
Wir haben nicht nur das Klima zu retten, sondern vielleicht wird dies nur der Anlass, dass wir uns als Menschen neu erfinden, neue Beziehungen aufbauen, neue Lebensformen entwickeln und anders wirtschaften lernen.
Weiterlesen
Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen: Was verbirgt sich hinter den Begriffen Commons und Commoning? (online abrufbar unter www.boell-thueringen.de/de/2014/03/17/was-verbirgt-sich-hinter-den-begriffen-commons-und-commoning-0).
Helfrich, Silke; Bollier, David (2019): Frei, Fair und lebendig. Die Macht der Commons. Bielefeld: transcript.
Annette Schlemm
Die Autorin ist Physikerin und Philosophin, bloggt auf philosophenstuebchen.wordpress.comDer Artikel ist Teil der Broschüre Love Nature. Not Fascism. Demokratischen Umwelt- und Naturschutz gestalten.
[1] Klima-Umbruch: Das Klima wird sich nicht nur leicht „wandeln“. Die „Globale Erwärmung“ wird nicht nur ein wenig wärmere Umgebungsluft mit sich bringen. Wie wir jetzt schon erleben, erhöht sich dadurch auch die Wahrscheinlichkeit von Unwettern wie Hitzewellen und räumlich begrenzten und langandauernden Starkregen, die zu großen Überschwemmungen führen. Auch großräumige Wetterlagen verändern sich: Große Landstriche leiden für längere Zeit unter Hitze, Dürre oder unwetterartigen Stürmen und Hurrikans. Die „normalen“ Jahreszeiten werden in ihrem Ablauf gestört, die „Störungen“ nehmen immer mehr den Charakter von sprunghaften Wechseln an, an die sich landwirtschaftliche und ökologische Systeme immer weniger anpassen können, weil die Zeit fehlt. Deshalb ist es besser, vom „Klima-Umbruch“ zu sprechen, als nur von einem „Klimawandel“.
[2] Solidarische Landwirtschaft: Menschen mit Bedürfnissen nach landwirtschaftlichen Produkten bringen in gemeinschaftlicher Abstimmung so viel Geld und auch teilweise eigene Arbeitsleistung in einen landwirtschaftlichen Betrieb ein, dass dieser für eine gewisse Zeit seine Kosten und Aufwendungen absichern kann. Die so produzierten Lebensmittel werden an die unterstützende Gruppe abgegeben. Dabei gibt es keine festgelegten „Preise“ für die Güter: Alle geben und nehmen, aber das Geben und Nehmen ist nicht mehr genau „verrechnet“.
[3] Mietshäuser-Syndikat: Fast 150 Hausprojekte sind bereits dem Immobilienmarkt (und damit der Mietpreistreiberei) entzogen, indem sie von sich selbst organisierenden Menschen verwaltet werden. Die Projekte unterstützen sich gegenseitig und arbeiten daran, immer mehr Projekte zu ermöglichen.